Freitag, 30. September 2016

Das war mein Lesemonat September 2016

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Im September 2016 habe ich sieben Bücher gelesen, das waren 2124 Seiten

Linda Winterberg: Das Haus der verlorenen Kinder   4sterne
Robert C. Marley: Inspector Swanson und der magische Zirkel   5sterne
Sabine Tetzner: Geliebter Geist   4sterne
Alexandra Doerrier: Die Lukasbrüder   4sterne
Wendy Wallace: Im Land der goldenen Sonne   5sterne
Birgit Jasmund: Luther und der Pesttote   4einhalbsterne
Debbie Macomber: Wolkenküsse   5sterne

Mit meiner Lese-Auswahl bin ich sehr zufrieden, denn es war kein Flop dabei, dafür aber lauter gute bis sehr gute Bücher. In der Liste oben könnt ihr schon mal meine Bewertungen sehen, auch wenn für drei Bücher noch die Rezensionen fehlen, die jedoch in den nächsten Tagen gepostet werden.

Und mein Monats-Favorit kommt diesmal aus dem Bereich der historischen Krimis:

Robert C Marley – Inspector Swanson und der magische Zirkel

Neu eingezogen sind in der zweiten Monatshälfte vier Bücher:

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Die beiden Bücher links im Bild sind ertauscht, oben rechts ist ein Buch aus der Facebook-Überraschungsgruppe, und “Das Weihnachtsdorf” kam als Rezensionsexemplar ins Haus. Hierbei handelt es sich um die Fortsetzung zu “Kräuter der Provinz”, auf die ich mich schon sehr freue, denn wie ich Petra Durst Benning kenne, hat sie sich wieder einiges einfallen lassen, und schon das Cover sieht richtig stimmungsvoll aus, finde ich.

Für interessante Lektüre ist also wieder reichlich gesorgt. Ich wünsche euch allen einen wundervollen, goldenen Oktober mit genügend Zeit zum ausgiebigen Schmökern und natürlich mit tollen Büchern.

Montag, 26. September 2016

Die Lukasbrüder - Alexandra Doerrier

Jünger der Kunst - Freiheit in einem goldenen Rahmen



Wien 1810: Die vier jungen Kunststudenten Friedrich Overbeck, Konrad Hottinger, Franz Pforr und Ludwig Vogel empfinden ihr Studium an der Wiener Akademie der Künste als unbefriedigend. Sie streben nach Höherem, nach der wahren, christlichen Kunst. Auf den Spuren von Raffael Santi wollen sie wandeln. Entschlossen lassen sie Wien hinter sich und begeben sich auf die Reise nach Italien. Rom ist ihr Ziel, und dort wollen sie ihre Träume umsetzen. Sie begründen einen heiligen Bund, die Lukasbruderschaft. In einem Kloster wollen sie leben und sich ganz der romantisch-christlichen Malerei widmen. Aber ihre weiteren Vorstellungen vom Leben und von der Kunst gehen weit auseinander. Während Overbeck, völlig vergeistigt, regelrecht dogmatische Vorstellungen hat, wie das gemeinsame klösterliche Leben stattfinden soll und sich total in der Malerei verliert, möchte Hottinger das Leben genießen. Er ist auch weltlicher Schönheit und den irdischen Genüssen nicht abgeneigt, und er sieht noch den lebendigen Menschen hinter dem Bild. Vogel steht irgendwo dazwischen, und Franz Pforr, der schon in Wien stark an Tuberkulose litt, erholt sich auch im warmen Italien nicht und verfällt zusehends. Die gemeinsamen Ideale geraten ins Wanken und der Lukasbund scheint an den unterschiedlichen Vorstellungen zu zerbrechen.

Alexandra Doerrier erzählt hier eine wahre Geschichte, denn die Protagonisten ihres historischen Romans haben wirklich gelebt. Die Nazarener, wie die Künstler ihrer langen Haare wegen genannt wurden, haben damals eine neue Kunstrichtung geprägt. Besonders für Overbeck war das Malen wie ein Gebet. Er sieht in seiner Kunst die persönliche Freiheit, während sich seine Freunde, besonders Hottinger, von den strengen Vorgaben eingeengt fühlen. Die Differenzen, die sich zwischen den jungen Künstlern anbahnen, sind sehr authentisch geschildert.
Der Roman ist aus Hottingers Perspektive in Ich-Form geschrieben. Dadurch wird einem gerade seine persönliche Sicht der Dinge gut verständlich nahe gebracht.

Die im Roman angesprochenen Bilder sind zum Teil heute sehr bekannt und in den großen Galerien der Welt zu finden. Besonders die Entstehungsgeschichte von Overbecks „Italia und Germania“, ein Werk, das ich erst vor einigen Monaten im Original betrachten konnte, ist sehr interessant dargestellt und erklärt.

Der schöne, plastische Schreibstil vermittelt die besondere Atmosphäre Italiens zur damaligen Zeit. Der Roman lebt vor allem durch seine ausdrucksstarken Reisebeschreibungen, die leidenschaftlichen Schwärmereien und durch die teils sehr philosophisch geprägten Dialoge der Kunstjünger. Liebhaber gut recherchierter historischer Romane, insbesondere diejenigen, die sich auch für die bildende Kunst der Renaissance interessieren, werden sicher Gefallen an diesem außergewöhnlichen Buch finden.



Montag, 19. September 2016

Geliebter Geist - Sabine Tetzner


Angela, Vollzeit-Hausfrau, liebende Ehefrau und vierfache Mutter kümmert sich selbstlos um das Wohl ihrer Lieben. Dankbarkeit erntet sie nicht dafür, aber sie sieht es als selbstverständlich an und ist mit ihrem Leben zufrieden. Nur, dass ihre geliebte Oma, bei der sie nach dem Tod ihrer Eltern aufwuchs, nun schwer krank geworden ist, belastet Angela sehr. Dann muss die Familie die Mietwohnung räumen, weil der Besitzer Eigenbedarf angemeldet hat. Allerdings kommt ihr nun ein unverhoffter Nachlass zur Hilfe, denn Angela hat ein altes Haus geerbt. Es wird im nahen Dorf gemunkelt, dass es dort spuken soll, und wenig später lernt Angela auch den weiteren Bewohner ihres Hauses kennen. Es ist der gut aussehende Sebastian, und er ist ein Geist. Ob das auf Dauer gut geht? Wohl kaum, denn Sebastian kann ganz schön lästig werden, wenn ihm etwas nicht in den Kram passt.

Angela ist viel zu gut für diese Welt. Sie opfert sich regelrecht für ihre Familie auf und wird dafür auch noch angemault. Besonders ihr Mann Klaus ist ein richtiger Unsympath, der nur zu nörgeln hat und dem sie nichts recht machen kann. Die verschiedenen Charaktere sind zwar extrem, aber sie wirken trotzdem nicht überzeichnet, sondern sind glaubwürdig, denn solche Familienkonstellationen wie hier sind sicher keine Seltenheit. Auch wenn ich Angela gerne ab und zu aufgerüttelt hätte, weil ich nicht verstehen konnte, wieso sie sich so mies behandeln lässt, so hatte sie doch mein volles Mitgefühl, besonders weil sie sich Sorgen um ihre Oma macht. Die Angst um einen geliebten Menschen lässt andere Probleme schon manchmal in den Hintergrund treten und schwächt meist die Wehrhaftigkeit. So konnte ich Angelas Reaktionen schon nachvollziehen. Wunderschön ist die zarte Annäherung mit Sebastian beschrieben. Das Schicksal des Geistes aus dem 16. Jahrhundert ist ebenfalls sehr berührend.

„Geliebter Geist“ ist ein Roman, den man schnell durchgeschmökert hat, denn hier gibt es keine langatmigen Passagen, sondern es geschieht eigentlich ständig etwas in Angelas Umfeld, und der flotte Schreibstil liest sich gut weg. Die eigentlich realistische Geschichte erhält durch den kleinen mystischen Touch, in Form von Geist Sebastian, die richtige Würze.

Der Roman ist kurzweilig und kann auch mit feinem Humor aufwarten, entbehrt jedoch auch nicht einer gewissen Dramatik. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt, lediglich am Ende ging mir alles ein wenig zu schnell. Da hätte ich nur allzu gerne noch weiter gelesen.



Donnerstag, 15. September 2016

Inspector Swanson und der Magische Zirkel - Robert C. Marley


London im Jahr 1894:
Eigentlich sollte es ein schöner Abend werden, den Inspector Swanson mit seiner Ehefrau im Londoner Adelphi Theater verbringen wollte, als Entschädigung für seine häufige berufliche Abwesenheit. Aber dann kommt alles ganz anders. Nur durch Swansons beherztes Eingreifen entrinnt der berühmte Entfesselungskünstler Van Dyke knapp dem Tode. Swanson wird hellhörig, als er erfährt, dass dies nicht der erste Unglücksfall war, der sich im Kreis der engagierten Zauberkünstler ereignet hat. Der Inspector wittert einen Mordanschlag auf Van Dyke und stürzt sich gleich in die zeitraubenden Ermittlungen, wodurch Mrs. Swansons Geduld wieder auf eine harte Probe gestellt wird...

Zauberkunststücke sind seine Passion, und so ist dieser neue Fall für Inspector Swanson eine besondere und sehr interessante Herausforderung. Sein Wissen über diverse Zauberkunststücke bringt ihm auch sehr schnell die Erkenntnis, dass es sich bei dem misslungenen Trick Van Dykes nicht um einen Unfall, sondern um einen Mordanschlag gehandelt hat.
Im Gegensatz zum zweiten Band, wo wir einen Schritt in der Zeit zurück gemacht haben, schließt sich dieser hier nun chronologisch an den ersten an, genau genommen spielt er ein Jahr nach der Geschichte um den Hope Diamanten. Wie mir schon in den vorherigen Bänden aufgefallen ist, hat sich die Zusammenarbeit von Swansons Ermittlungsteam über die Jahre gefestigt; man kann sich aufeinander verlassen. Besonders gut gefällt mir Sergeant Peter Phelps, Swansons „rechte Hand“, uein junger Mann, der zwar manchmal etwas unbedarft wirkt, aber oft recht pfiffige Bemerkungen zum Besten gibt. Auch Frederic Greenland, ein wohlhabender Lebemann, der sich manchmal ein wenig langweilt und daher gerne für Swanson undercover ermittelt, ist diesmal wieder mit von der Partie.
Sehr detailliert geschildert und dadurch immer ein wenig schaurig sind die Besuche beim forensischen Team der Londoner Kripo. Es ist faszinierend, was damals, mit eher einfachen Methoden, schon alles herausgefunden werden konnte.

Ein Roman von Robert C. Marley, in dem man keine „alten Bekannten“ wieder trifft, ist schlicht undenkbar, denn gerade die Begegnungen mit realen historischen Persönlichkeiten der damaligen Zeit machen die Story so lebendig. So kann man sich auch diesmal wieder auf interessante Dialoge mit Oscar Wilde freuen. Der exzentrische Schriftsteller ist Inspector Swanson mittlerweile freundschaftlich verbunden, und die Gespräche der beiden Männer werden zum Teil recht philosophisch. Auch weitere damalige Zeitgenossen finden im Roman Erwähnung, wie beispielsweise Joseph Merrick, der im Viktorianischen Zeitalter als „Elefantenmensch“ bekannt war, der zwar zur Zeit der Geschichte bereits nicht mehr lebte und keinen wesentlichen Einfluss auf die Handlung hat, in der Erinnerung einer einsamen jungen Frau jedoch weiterlebt.
Auch die in einem Kapitel erwähnte sympathische Krankenschwester Edith Louisa Cavell war eine reale Person mit einem spektakulären Lebenslauf. Wenn ich an dieser Stelle Erich Weiß erwähne, wird das kaum jemandem etwas sagen, denn im Roman ist er noch ein junger Laufbursche, aber später machte er sich als Harry Houdini einen Namen in Magierkreisen.
Ich liebe es, in Romanen derart starke Verbindungen zur Wirklichkeit zu finden und die Fäden zu verknüpfen, indem ich mir Quellen für weitere Informationen suche, die über die eigentliche Handlung hinaus gehen. In diesem Fall ist auch der Schauplatz authentisch, denn auch das Adelphi Theatre existiert tatsächlich, und betrachtet man alte Bilder, so fühlt man sich direkt in der Zeit zurückversetzt.

Die außergewöhnliche und sehr schöne Aufmachung des Buches rundet das Ganze gekonnt ab, denn der Krimi besteht aus vier großen Teilen, deren Anfang jeweils ein Vorsatzblatt mit Zitaten großer Zauberkünstler bildet, auf dem der Elizabeth Tower des Big Ben immer ein Stück weiter in den Blickpunkt rückt. Die Anfänge der einzelnen Kapitel schmückt jeweils die kleine Illustration einer alten Gaslaterne.

Mit seiner großen Nähe zur realen Vergangenheit, mit hintergründigem, manchmal etwas spöttischem Humor und faszinierenden Verflechtungen in der Handlung war der dritte Krimi um Inspector Swanson wieder ein absoluter Lesegenuss für mich.




Mittwoch, 14. September 2016

Neue Bücher in der ersten September-Hälfte

In den letzten beiden Wochen sind neue Bücher bei mir eingezogen, zahlreich wie fallende bunte Blätter.


Zwei der Neuheiten sind Rezensionsexemplare, von denen ich wusste: 
Carola Wegerle - Die Irak-Mission und
Elisabeth Büchle - Unter dem Sternenhimmel.
"Das Apfelblütenfest" von Carsten Sebastian Henn habe ich ertauscht, und Lucinda Rileys "Das Mädchen auf den Klippen" war ein Überraschungsbuch aus der Facebook-Gruppe, in der ich aktiv tausche. 
Vier Bücher sind mir überraschend zugeschickt worden:
Martin Calsow: Atlas - Frei zum Abschuss,
Clara Maria Bagus: Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen,
Carmen Korn: Töchter einer neuen Zeit 
und das Bilderbuch von Henriette Boerendans: "Die Null ist eine seltsame Zahl".

Da heißt es wohl, die eine oder andere "Nachtschicht" beim Lesen einzulegen, denn sonst komme ich mit meinem Bücherreichtum gar nicht hinterher.
Für alle Rezensionsexemplare bedanke ich mich ganz herzlich, aber die Verlage und Autoren, die mir überraschend ein Buch zugeschickt haben, muss ich um eine große Portion Geduld bitten, denn es wird dauern, bis ich mich durch den Bücherberg gelesen habe.

Montag, 12. September 2016

Das Haus der verlorenen Kinder - Linda Winterberg


Die junge Waise Maria arbeitet in Wiesbaden im Haus Sonnenschein, einem Seniorenheim. Dort lernt sie Betty kennen, eine recht eigenwillige alte Dame, die im Heim lebt. Trotz des großen Altersunterschieds freunden sich die beiden Frauen an. Marie spürt, dass die Schatten der Vergangenheit die alte Dame belasten und sie immer wieder einholen. Sie selbst ist auf der Suche nach ihren Wurzeln. Ihre Eltern hat sie früh verloren und wuchs im Heim auf. Über ihre Vorfahren weiß Marie so gut wie nichts. Mit Hilfe eines alten Tagebuchs kommt sie schicksalsschweren Ereignissen von damals auf die Spur, die ihr ganzes Leben verändern.

Die Handlung um Maria und Betty spielt in der Gegenwart, aber eigentlich ist es ein historischer Roman, denn die Rückblicke nehmen einen sehr großen Raum im Buch ein und führen nach Norwegen, ins Jahr 1941. Damals, zu Kriegszeiten, wurden in dem kleinen Fischerort Loshavn deutsche Soldaten stationiert. Die Freundinnen Lisbet und Oda haben viel gemeinsam, denn sie verlieben sich beide in einen jungen Deutschen. Die Familien reagieren mit Ablehnung und Unverständnis, und so verlassen Lisbet und Oda ihre Heimat, um bei ihren Geliebten zu sein. Als beide Männer an die Ostfront versetzt werden, lassen sie zwei verzweifelte Frauen zurück, denn beide Freundinnen sind schwanger. Sie finden Aufnahme und Hilfe bei den deutschen Besatzern und können in dem „Kriegsmütterheim“ Hurdal Verk ihre Kinder zur Welt bringen. Wie es für die Mütter und ihre Kinder weitergehen soll, ist ungewiss, denn der Traum, den geliebten Mann wieder zu treffen und heiraten zu können, scheint sich für beide Freundinnen nicht zu erfüllen.

In diesem bewegenden Roman behandelt die Autorin ein Thema, über das ich bisher noch nichts wusste, denn es geht um den Lebensbornverein, eine nationalsozialistische Organisation, die es sich zum Ziel setzte, die „nordische (arische) Rasse“ zu bewahren. Daher wurden die Verbindungen zwischen deutschen Soldaten und norwegischen Frauen begrüßt, denn die aus diesen Liebschaften entstehenden Kinder entsprachen den damaligen Vorstellungen des NS-Regimes von „Rassenreinheit“. Die Frauen der indigenen nordischen Völker, der Samen, fielen nicht unter diesen Status. Sie wurden auch anders behandelt, denn für die Ideologie und das Projekt „Lebensborn“ waren sie nicht von Nutzen.

Die Autorin hat unglaublich aufwändig und ausführlich für diesen Roman recherchiert, das merkt man an dem umfassenden Wissen, das hinter der Geschichte steckt. Auf zwei Zeitebenen beschreibt Linda Winterberg die tragischen Ereignisse und Schicksale dieser Zeit, und sie schlägt einen Bogen zur Gegenwart, denn die Nachkommen der damaligen Opfer suchen auch heute noch nach Antworten auf ihre zahlreichen Zweifel und Fragen. Vieles wird im Nebel der Vergangenheit verborgen bleiben und sich nicht mehr klären lassen, aber ich finde es gut und wichtig, durch diesen Roman etwas über das mir bisher unbekannte Thema zu erfahren. Die Autorin hat die realen historischen Fakten gekonnt und einfühlsam in diese berührende Geschichte eingeflochten und einen fesselnden und beeindruckenden Roman daraus entstehen lassen. Mich hat das Thema nachhaltig und weit über die Handlung hinaus beschäftigt, und das Schicksal dieser Frauen und ihrer Tyskerbarna („Deutschenkinder“) wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Insgesamt hat mir der Roman sehr gut gefallen, nur ging mir am Ende alles ein wenig zu schnell, und es blieben für mich einige Fragen offen, was ich sehr schade fand.



Montag, 5. September 2016

Die Reise der Amy Snow - Tracy Rees


Die Geschichte der jungen Heldin beginnt im Januar 1831. Amy Snow ist ein Findelkind. Als Baby wurde sie ausgesetzt, und die zehnjährige Aurelia fand sie halb erfroren im Schnee. Von da an wächst die Kleine im Herrenhaus Hatville Court auf, und Aurelia, ihre Retterin, wird zugleich ihre beste Freundin. Aber die Vennaways, Aurelias Eltern, wollen nichts von dem fremden Kind wissen. Als Aurelia jung stirbt, steht Amy ganz allein und muss das Herrenhaus noch am Tag der Beerdigung verlassen. Ein Brief, den die geliebte Freundin ihr hinterlassen hat, führt sie auf eine rätselhafte Reise quer durch England. An verschiedenen Stationen warten Nachrichten auf sie, und Amy folgt dem vorgezeichneten Weg, um Aurelias Vermächtnis zu erfüllen. Nach und nach kommt sie dabei einem großen Geheimnis auf die Spur.

Mit Amy Snow hat die Geschichte eine sanfte, zurückhaltende Heldin, die jedoch im Lauf der Zeit lernt, sich durchzusetzen. Ihre Reise ist langwierig und mühsam. Angst und Zweifel werden zu ständigen Begleitern der jungen Frau, denn ihr Weg führt ins Ungewisse. Oft weiß sie nicht weiter und fragt sich, wieso Aurelia ihr dies alles zumutet. Trotz aller Unsicherheiten folgt Amy jedoch beständig den Spuren, die Aurelia für sie hinterlassen hat, denn sie ist ihrer verstorbenen Freundin gegenüber loyal und möchte unter allen Umständen deren letzten Willen erfüllen. Dabei wächst sie über sich selbst hinaus und lernt ganz neue Seiten an sich kennen. Auch trifft sie auf ihrem Weg viele interessante Menschen, die alle in irgend einer Weise eine Verbindung zu ihrer geliebten Freundin hatten. In gewissem Sinn ist dies also auch ein Entwicklungsroman, denn vom schüchternen, unsicheren und ein wenig naiven Mädchen, das nichts von der Welt kennt, reift Amy zur selbstbewussten und selbstbestimmten jungen Frau heran, die ihren eigenen Wert erkennt. Der Weg dahin wird von der Autorin in sehr schöner und einfühlsamer Weise gezeichnet. Die gediegene Sprache, die stets mit wohl gesetzten Formulierungen aufwarten kann und auch die Art, wie gesellschaftliche Beziehungen hier gepflegt werden, erinnert mich ein wenig an das Spätwerk von Jane Austen, auch wenn Amy einige Jahrzehnte später lebt als die Protagonisten von Austens Romanen.
Da er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt, ist es durchaus auch ein historischer Roman, obwohl hier kaum geschichtliche Daten und Fakten eine Rolle spielen. Aber man erfährt viel über das Leben und die Gepflogenheiten der Menschen zur damaligen Zeit.

Amy Snow und ich haben eine schöne Gemeinsamkeit, denn Amy liebt die Werke von Charles Dickens, und in dieser Beziehung kann ich ihr nur uneingeschränkt zustimmen. Die Art, wie sie über seine Romane schwärmt, ist regelrecht ansteckend und wird vielleicht auch diejenigen, die bisher noch keinen Dickens gelesen haben, dazu animieren, dies endlich einmal zu tun. „Die Reise der Amy Snow“ ist ein eher ruhiger, unaufgeregter Roman. Er liest sich angenehm, da er sprachlich viel zu bieten hat.
Trotz einiger Längen ist dies ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe und auch jederzeit weiter empfehlen kann.  



Sonntag, 4. September 2016

Die Salbenmacherin und der Bettelknabe - Silvia Stolzenburg


Nürnberg im Februar 1409: Der elfjährige Waisenjunge Jona ist ein Dieb und Bettler. Kurz nach seiner Ankunft in Nürnberg wird er beim Stehlen erwischt und zu Zwangsarbeit verurteilt. Zusammen mit einem Leidensgenossen kann er fliehen und streunt halb verhungert und frierend durch die Stadt. Als ihn ein Mann anspricht und eine leichte Anstellung sowie eine Unterkunft und Verpflegung anbietet, kann er nicht widerstehen und sagt zu. Angeblich soll er nur eine kleine Gefälligkeit dafür erledigen. Aber ehe er sich versieht, steckt er in großen Schwierigkeiten, denn er ist in eine sehr dubiose Sache hinein geraten. Zu spät erwacht Jonas Misstrauen gegenüber seinem Auftraggeber, und er endet schwer verletzt in einem Hinterhof. Dort findet ihn die Salbenmacherin Oliviera und gerät ebenfalls in große Gefahr.


Dies ist der zweite Band und damit der Nachfolger des Romans „Die Salbenmacherin“. Die optische Gestaltung ist hervorragend auf den ersten Teil abgestimmt, und die beiden Bücher bilden eine harmonische und sehr schöne Einheit im Regal.
Endlich können wir das Schicksal von Oliviera weiter verfolgen, die ein Jahr zuvor ihre Heimat Konstantinopel verlassen hatte und nach Tübingen gereist war. Ich möchte nicht zu viel verraten und gehe daher gar nicht tiefer auf die Handlung und das private Umfeld der Protagonistin ein. Nur so viel: Oliviera lebt nun in Nürnberg und ist dabei, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Es ist nicht unbedingt notwendig, den ersten Band gelesen zu haben, denn die wesentlichen Fakten zu früheren Ereignissen lässt Silvia Stolzenburg zwischendurch gekonnt in die Handlung einfließen, so dass man sich stets gut zurecht findet, und die Geschichte um den Waisenjungen Jona findet hier erst ihren Anfang. Aber ich empfehle doch, zuerst „Die Salbenmacherin“ zu lesen, denn das erhöht den Lesegenuss und sorgt auch für ein noch besseres Verständnis der Zusammenhänge.
Der neue Roman ist wieder spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Auch diesmal gibt es einen düsteren, leicht gruseligen Hintergrund. Auf Oliviera warten neue Probleme und Herausforderungen, und die Schatten der Vergangenheit lauern auch hier in der Stadt, die sie als ihre neue Heimat gewählt hat. Alle Charaktere, die in der Geschichte agieren, sind vielschichtig dargestellt und nicht immer leicht durchschaubar. Die Autorin versteht es meisterhaft, unheimliche Szenen sehr plastisch zu schildern, was einem beim Lesen häufig eine Gänsehaut beschert. Mir hat hier besonders gut gefallen, dass die Geschichte in Nürnberg spielt und die Schauplätze so ausführlich gezeichnet sind. Nürnberg ist eine Stadt, die ich häufig und gerne besuche, und in diesem Roman konnte ich im Geiste durch die Gassen wandern. Viele der beschriebenen Ecken waren mir vertraut, weil ich sie aus heutiger Sicht kenne. Auch wenn sich das Stadtbild natürlich sehr gewandelt hat, konnte ich mir die ganze Handlung noch viel besser vorstellen, denn die alten Gebäude sind ja noch vorhanden.

Ich mag den Schreibstil der Autorin sehr gerne, denn er ist flüssig, dabei aber nicht oberflächlich, sondern sehr eindrucksvoll. Jedenfalls war ich wieder ganz im Bann der turbulenten Ereignisse. Viel zu schnell war ich auf der letzten Seite des Buches angekommen. Aber für alle, denen es ebenso erging, hat die Autorin eine gute Nachricht; es wird eine Fortsetzung geben. Darauf freue ich mich schon sehr, denn die historischen Romane von Silvia Stolzenburg sind gut recherchiert und versprechen immer wieder ein fesselndes Lesevergnügen der Extraklasse.