Anfang des 19.
Jahrhunderts: Noëlle ist auf der Seychellen-Insel Mahé geboren und
aufgewachsen. Kurz nach ihrem dreizehnten Geburtstag erhält sie das
Brandzeichen, wie alle Sklaven, denn sie ist das Eigentum des früheren Korsaren
Jean-François Hodoul. Er hat sich mit seiner Frau auf der kleinen Insel, die zu
den französischen Kolonien gehört, niedergelassen und dort sein persönliches
Paradies gefunden. Die Hodouls behandeln ihre Bediensteten freundlich, und so
gesehen hatte Noëlle Glück mit ihren Herrschaften, denn die meisten Sklaven
leiden sehr, werden von ihren Besitzern unterdrückt und misshandelt. Noëlle
unterscheidet sich aber auch sonst von ihnen, denn sie hat hellbraune Haut. „Zu
viel Milch im Kaffee“, wie ihr Herr es nennt, denn sie ist die Tochter einer
Weißen und eines farbigen Sklaven.
Noëlle ist eine begnadete
Köchin, und hilft auch als Heilerin in der kleinen Klinik der Insel. Als sich
jedoch ihr Onkel Hugo schwer verletzt, ist sie ratlos. Ihre einzige Hoffnung,
den alten Mann zu retten, ist der Schiffsarzt der französischen Fregatte, die
gerade am Hafen von Mahé vor Anker gegangen ist. Thierry Carnot hilft gerne.
Aber er hat etwas an sich, was die junge Frau verunsichert, und doch fühlt sie
sich gleichzeitig zu ihm hingezogen. Sie wird nicht schlau aus dem
verschlossenen Mann, der immer den Eindruck hinterlässt, als würde er vor etwas
auf der Flucht sein. Die Zusammenarbeit in der Klinik bringt die beiden
einander näher, wirft aber auch viele Fragen auf. Welches Geheimnis mag der
attraktive Arzt verbergen? Als Noëlle sich ihrer Gefühle zu Thierry klar wird,
spürt sie, dass die wachsende Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht, aber könnte
ihre Liebe wirklich eine Zukunft haben?
Die ausführlichen und
schönen Beschreibungen der kleinen Seychellen-Insel Mahé hören sich wirklich
paradiesisch an. Am liebsten würde man sofort seinen Koffer packen, wenn man
von traumhaften Stränden und der exotischen Flora und Fauna liest. Umso stärker
wird einem die Unfreiheit der Eingeborenen bewusst, die im Zuge der Kolonialisierung
durch die Franzosen in diesem Idyll leben und dabei der Willkür ihrer Herren
ausgesetzt sind. Egal ob schuldig oder unschuldig, bestraft wird immer der
Sklave. Zwar nimmt Noëlle eine Sonderstellung unter den Sklaven ein, was ihr
keine Sympathien beschert, aber sehr schnell wird klar, dass es auch um das
Schicksal der jungen Frau nicht besser bestellt ist als bei ihren
Leidensgenossen.
Die sich entwickelnde Beziehung
zu dem Schiffsarzt ist eine sehr mutige Geschichte, bei der ich anfangs skeptisch
war, ob sie funktionieren könnte. Die Annäherung und beginnende Freundschaft
zwischen der Sklavin und dem Arzt sind wohl nur möglich, weil auch Thierry in
seinem Leben schon viel Unterdrückung und Unrecht zu spüren bekam.
Gut hat mir gefallen, dass
die Schilderung der Charaktere nicht einseitig verläuft. Auch die sympathischen
Protagonisten werden nicht als die unfehlbaren Helden dargestellt, denn auch Thierry
Carnot muss zugeben, dass er in der Vergangenheit schon Sklaven geschlagen hat,
und auch er ist in vielen Angelegenheiten machtlos, weil die humanitäre
Einstellung damals eine völlig andere war. Dieses Eingeständnis lässt ihn
menschlich und glaubhaft erscheinen. Sehr realistisch werden auch die
Lebensbedingungen der französischen Kolonialherren dargestellt, denn hier, in
der Fremde, hat sich eine ganz eigene Lebensart entwickelt, die aus der Not heraus
entstanden ist, dass Luxusgüter Mangelware und manche Dinge des täglichen
Bedarfs nur selten oder gar nicht verfügbar waren. Die Beschreibung von mondänen
Abendroben der Herrschaften, kombiniert mit von Sklaven hergestellten
Palmblattschuhen, hat mir so manches Schmunzeln entlockt.
Die Autorin hat viel Historisches
in ihren Roman eingebracht, denn einige der beschriebenen Charaktere haben
wirklich gelebt, beispielsweise Jean-François Hodoul oder Gouverneur Quincy,
und auch so manches Ereignis hat damals in ähnlicher Weise stattgefunden.
Egal, von welchen
Erwartungen an den Roman ich ausgehe, sie wurden für mich alle erfüllt.
Einerseits ist es ein historischer Roman, dem man anmerkt, dass ihm gründliche
Recherchearbeit vorausgegangen ist. Man erhält auch eine recht plastische Vorstellung
der damaligen medizinischen Praktiken, und die Behandlungsformen sind
beeindruckend, wenngleich auch sehr abschreckend für uns heutzutage.
Zugleich ist es aber auch
eine romantische Geschichte, bei der die Fans des Genres „Love and Landscape“
auf ihre Kosten kommen. voller Romantik, Spannung und Abenteuer und das alles in
einer traumhaften, exotischen Kulisse. Bis zum Schluss bangt man mit den
Protagonisten, denen das Schicksal teilweise recht hart mitspielt. Der Roman
hat kein „klassisches Happy End“. Es bleiben noch einige Fragen offen, was das
Schicksal und die Zukunft von Thierry und Noëlle angeht. Man muss ein wenig
zwischen den Zeilen lesen, denn alles Wichtige wurde geklärt oder angedeutet,
und die Einzelheiten kann jeder für sich in Gedanken ausmalen und hoffen.
Noch ein Wort zum Cover, bei
dessen Betrachtung man ins Träumen gerät. Der Strandabschnitt, mit dem Segelschiff
und den Felsen im Hintergrund, in das warme Licht des Sonnenuntergangs getaucht,
ist so stimmungsvoll und plastisch dargestellt, dass man sich dorthin wünscht
und fast meint, die Füße in die Gischt halten und darin kühlen zu können. Was könnte besser als Urlaubslektüre für die
kommenden Sommerferien geeignet sein?