Darmstädter Nachtgesänge Ella Theiss Edition Oberkassel ISBN: 978-3958132320 |
Kurzbeschreibung:
Großherzogtum Hessen-Darmstadt, Vormärz (1834–1836) Ein gräflicher Förster liegt erschlagen im Wald, und Jacob Trumpfheller, der ewige Holzräuber und Wilderer, wird als Mörder ins Kittchen gesteckt. Die Hinrichtung scheint ihm gewiss. Aber er war’s nicht, glaubt Anna, Hausmädchen bei den Büchners in Darmstadt. Ihr Cousin Rodrich muss es gewesen sein, dem sie mit Rücksicht auf ihre Familie ein falsches Alibi gegeben hat. Was jetzt? Jacob muss geholfen werden. Anna wendet sich an Oscar Weiß, den komischen Kauz von nebenan, der der Büchner-Tochter Mathilde schöne Augen macht. Außerdem ist er Journalist bei der Großherzoglichen Zeitung und könnte etwas bewegen. Dumm nur, dass der Mann als Spitzel auf den ältesten Sohn der Büchners, den ebenso freundlichen wie gescheiten Studenten Georg angesetzt ist. Denn Georg schreibt Sachen, die vor aller Welt versteckt werden müssen, besonders dieses Flugblatt mit der Überschrift „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“. Fort damit! Zumal einem armen Teufel wie Jacob Trumpfheller und einem mittellosen Hausmädchen wie Anna mit all den Sprüchen nicht zu helfen ist. Oder doch? Ein tragikomischer Biedermeier-Roman rund um einen authentischen Kriminalfall.
Mein Eindruck:
Zwei
reale Schicksale bilden die Grundlage für Ella Theiss‘ neuen
historischen Roman, der
im Großherzogtum Hessen-Darmstadt in der Biedermeierzeit spielt.
Da ist zum einen der arme Holzräuber und Wilderer Jacob
Trumpfheller, der des Mordes an einem gräflichen Förster
verdächtigt und
ins Gefängnis geworfen wird.
Sein
Schicksal verknüpft die Autorin hier in gewisser Weise mit dem der
Familie Büchner, deren Sohn Georg verbotene Schriften publiziert hat
und aus diesem Grund bespitzelt wird. Im Roman lernt man die so
grundverschiedenen Lebenssituationen der beiden Männer kennen, denn
Trumpfheller lebt in bitterer Armut und hat eine Familie zu
versorgen. Dies gelingt ihm mehr schlecht als recht und nur, indem er
das Gesetz missachtet und verbotenerweise im Wald Holz schlägt und
wildert. Obwohl
ihm der Mord an dem toten Förster nicht nachzuweisen ist, wird er
für schuldig erklärt.
Georg
Büchner wiederum stammt aus einer Arztfamilie und wächst, zusammen
mit seinen Geschwistern, sehr behütet und in Wohlstand auf. Im
Gegensatz zu Jacob genießt Georg eine gute Bildung und widmet sich
seinem Studium. Aber trotz oder vielleicht gerade wegen seiner
privilegierten Situation widmet er sich immer mehr den
Interessen der Ärmsten und setzt sich für politische Freiheit und
Menschenrechte ein.
Man
begegnet in diesem Roman einigen sehr interessanten Persönlichkeiten,
die zum Teil fiktiv sind, aber auch realen
Personen wie Luise Büchner, Georgs kleiner Schwester, die sich
später als Frauenrechtlerin und Autorin für
Freiheit, Gleichberechtigung und Berufsbildung ihrer
Geschlechtsgenossinnen einsetzt. Auch
wenn die Handlung fiktiv ist, so fließen doch sehr viele reale
Begebenheiten und Tatsachen mit ein, und man bekommt einen
aufschlussreichen Blick auf diese bewegte
Zeit
des Vormärz. Wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion liegen,
erklärt die Autorin in ihrem ausführlichen Nachwort.
Eine
erfundene und
sehr liebenswerte
Protagonistin ist Anna, die als Hausmädchen bei den Büchners in
Darmstadt arbeitet.
Gerade
aus ihrer Sicht wird ein wesentlicher Teil der Handlung geschildert.
Sie kennt Jacob Trumpfheller von früher und glaubt an seine Unschuld
aber kann
sie die auch beweisen,
wenn sie sich zu diesem Zweck mit dem Journalisten Oscar verbündet?
Durch ihren Schützling Luise Büchner kommt auch Anna mit den so
genannten Blaustrümpfen
in Kontakt und beginnt, von einer besseren Zukunft zu träumen.
Meist verknüpft man die Biedermeierzeit mit einer gewissen Gemütlichkeit aber auch ein wenig mit Spießertum und Kleingeistigkeit. Dass es zu dieser Zeit auch Armut und Unterdrückung gab und sich unterschwellig eine ganz andere Bewegung breit machte, lässt sich im Roman ganz klar erkennen. Hier hat man die Gelegenheit, hinter die sauber polierte Fassade dieser Aera zu schauen und dahinter auch die negativen Seiten dieser Zeit zu sehen.
Neben der spannend erzählten Handlung bietet die Geschichte auch jede Menge an Wissen über die damalige Zeit und ihre Menschen. Immer wieder sind Original-Zitate, beispielsweise aus Artikeln des Hessischen Landboten, aus Aufzeichnungen des Untersuchungsrichters oder aus Vorträgen Luise Büchners, in die Handlung eingefügt und ergänzen das Bild sehr ausführlich.
Ella Theiss schreibt wunderbar lebendig und bildhaft, so dass man stets ganz nah‘ bei der Handlung ist und sich bestens in die verschiedenen Situationen hinein versetzen kann. Ihre exzellenten Schilderungen sind ein wahrer Lesegenuss. Auch der Titel „Darmstädter Nachtgesänge“ kommt nicht von ungefähr, und wer gerne wissen möchte, was es damit auf sich hat, dem kann ich nur ans Herz legen, den Roman zu lesen.
Betonen möchte ich hier auch die großartige und stimmungsvolle Covergestaltung durch Tilla Theiss, die Tochter der Autorin.
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