Im Nachlass ihres Großvaters findet
die Amerikanerin Erin einen Brief aus Deutschland, geschrieben 1993.
Auch ein Flugticket nach Deutschland liegt dabei. Obwohl ihr
Großvater damals schon ein alter Mann war, handelt es sich eindeutig
um einen Liebesbrief, jedoch nicht von ihrer Großmutter, sondern von
einer Lily unterzeichnet. Der Brief endet mit den Worten: „Ich
warte auf dich, jeden Tag“. Alexander Woodward, der ihr nie der
Großvater war, den sie sich gewünscht hätte, den sie stets nur als
kühl und unnahbar kennengelernt hatte, scheint in seiner
Vergangenheit ein Geheimnis gehütet und die Liebe seines Lebens
erfahren zu haben.
In ihrem eigenen Leben ist Erin gerade
an einem Wendepunkt angekommen, denn ihre Ehe ist kaputt, und ihr
Arbeitsplatz in einer schönen kleinen Buchhandlung hängt am
seidenen Faden, da ihre Chefin und zugleich beste Freundin Charlotte
in finanziellen Nöten steckt.
Nach langem Zögern und unter
Charlottes Zuspruch entschließt sich Erin, dem Geheimnis ihres
Großvaters auf die Spur zu kommen und sich auf die Suche nach der
fremden Frau namens Lily zu machen. Sie reist nach Europa, in der
Hoffnung, Spuren aus dem Leben ihres Großvaters und von Lily zu
finden.
Ihre Suche beginnt in Barcelona, wo
Erins erwachsener Sohn lebt und studiert. Sie führt nach Frankfurt
und sogar bis Stockholm. Während ihrer Nachforschungen erfährt
Erin, dass Lily damals, in den 30er Jahren, einer Widerstandsgruppe
gegen die Nazis angehörte und dass auch ihr Großvater, durch seine
Begegnung mit Lily, eine Verbindung mit dieser Gruppe hatte.
Betrachtet man das wunderschön
gestaltete Cover und liest den Titel, erwartet man vermutlich einen
sehr romantischen Roman. In gewisser Weise ist es das ja auch, denn
die Geschichte erzählt von einer großen Liebe in den 30er Jahren
des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit, als die Zeichen in Deutschland
auf Sturm standen, als die Nationalsozialisten immer mehr Macht im
Land bekamen. In zahlreichen Rückblicken erfährt man mehr über die
Widerstandsbewegung und ihre Arbeit, über die politische Situation
damals und darüber, wie es zu der Verbindung zwischen Lily und
Alexander kam und wie sich alles entwickelte. So ist dieser Roman
viel mehr als ein Liebesroman, er stellt vielmehr ein farbiges und
plastisches Zeitzeugnis dar, denn auch wenn Alexanders und Lilys
Geschichte fiktiv ist, so erzählt dieser Roman doch sehr viel Wahres
und Brisantes aus der deutschen Geschichte.
Die Rolle der Vermittlerin zwischen
Vergangenheit und Gegenwart übernimmt Erin. Sie ist Mitte Vierzig
und erscheint gerade am Anfang des Romans als recht komplizierter
Charakter. Sie leidet noch sehr unter der Trennung von ihrem Mann
und macht sich das Leben selbst schwer, weil sie ihm immer noch
hinterher trauert und ihn mit Telefonaten bedrängt. Sie demütigt
sich selbst und badet in Selbstmitleid, ohne wirklich etwas mit ihrem
Verhalten zu erreichen. Auch die Beziehung zu ihren Eltern,
insbesondere zu ihrer Mutter, ist kompliziert. Man hat den Eindruck,
sowohl Mutter als auch Tochter sind ständig in Habachtstellung und
neigen dazu, in jedes Wort und jeden Blick der Anderen viel mehr
Bedeutung hinein zu interpretieren als sie eigentlich hätten.
Erins Vertraute und Hilfe in
Krisenzeiten ist Charlotte, ihre beste Freundin und Inhaberin des
Buchladens „Books Charlotte loves“. Von Charlottes Optimismus
und Stärke könnte sich Erin eine Scheibe abschneiden, denn obwohl
ihr kleiner Laden Existenzprobleme hat, ist sie immer für Erin da
und hat sich sogar etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Jede Woche
schreibt sie Erin einen Brief oder eine Mail, worin sie ihr ein Zitat
aus einem Buch mitteilt. Erin soll das Buch, um das es geht, erkennen
und lesen und herausfinden, was ihr der Inhalt über ihr eigenes
Leben sagen soll oder wie sie ihrer Meinung nach für sich selbst
einen Nutzen aus dem Gelesenen ziehen könnte.
Das ist das Besondere an diesem Buch,
denn jedes Kapitel ist mit einem der Zitate aus Charlottes Büchern
überschrieben, welches immer zum Inhalt passt. Das ist ein
interessanter Ansatz, der mir sehr gefallen hat. Ich habe mich dabei
an „alte Bekannte“ erinnert, die ich selbst schon vor längerer
Zeit gelesen habe, auch waren Bücher dabei, die ich noch nicht
kannte, wobei die entsprechenden Zitate wiederum mein Interesse
geweckt haben. Charlottes Nachrichten mit einem neuen Buchvorschlag
kommen zuverlässig und regelmäßig, auch während Erins gesamter
Reise.
Mit Erins Augen erfährt man Neues und
Altes über ihren Aufenthalt in Europa, dessen zentrales Ziel
Frankfurt ist. Ihre Eindrücke, die sie in Deutschland macht, lassen
sie nicht nur mehr über die Vergangenheit erfahren und unbekannte
Seiten an ihrem Großvater zu entdecken, sondern sie helfen ihr auch,
sich selbst auf Neues einzulassen und über ihren eigenen Schatten zu
springen.
Der Roman hat kein Happy End im
klassischen Sinn, denn das Schicksal zieht nicht immer gerade Bahnen,
hier ebenso wenig wie im richtigen Leben. Aber es gibt einen sehr
schönen Abschluss, der den Leser zufrieden zurücklässt. Man kann
selbst weiterspinnen, was die Zukunft für Erin bringen mag. Auf
jeden Fall ist sie nicht mehr so verkrampft und negativ eingestellt
wie am Anfang ihrer Geschichte. Sie hat interessante Bekanntschaften
geschlossen, viele wertvolle Erfahrungen gesammelt, und sie hat
gelernt, das Beste aus ihrer Situation zu machen und dem Glück eine
neue Chance zu geben.
Die Autorin, die durch Erzählungen
ihrer Großmutter zu dieser Geschichte inspiriert wurde, hat hier
unter neuem Pseudonym einen wundervollen Roman geschaffen, der mit
interessanten, facettenreichen Charakteren aufwarten kann und in dem
selbstverständlich auch wieder eine Katze eine wichtige Rolle
spielt.
Im Anhang findet man Informationen zu
all den genannten Büchern, aus denen die Zitate der einzelnen
Kapitel stammen und kann auch einiges an wissenswerten historischen
Fakten und Besonderheiten zur damaligen Zeit nachlesen.