Klappentext:
Istanbul 1918. Nach Ende des 1. Weltkriegs ist die Stadt von den Siegermächten besetzt, das einst glanzvolle Osmanische Reich scheint dem Untergang geweiht. Als Frau des Sekretärs von Sultan Mehmed VI. lebt Leyla mit ihrer Familie in der Pracht eines traditionellen Harems – doch um sich herum verspürt die junge Frau den Anbruch einer neuen Epoche, die Faszination der modernen Zeit. Mit ihrem Bruder engagiert sie sich im Widerstand und begegnet so ihrer großen Liebe: Hans, einem deutschem Archäologen und Revolutionär. Hans und Leyla wissen, dass sie füreinander bestimmt sind, auch wenn ihre Liebe nicht sein darf. Und doch kreuzen sich ihre Wege immer wieder unter schicksalhaften Umständen ...
Mein Eindruck:
Leylas Situation steht beispielhaft für
die vieler türkischer Frauen der damaligen Zeit. Einerseits noch den
alten Traditionen verhaftet, aber auch aufgeschlossen für das neue
Denken, das mit den Allierten aus Europa kommt, fühlt sich die junge
Frau bei all ihren Entscheidungen zerrissen. Sie ist gefangen in
einer arrangierten Ehe mit Selim, dem Sekretär des Sultans, aber in
dem deutschen Archäologen Hans hat sie ihre Liebe gefunden. Ihr
Lebensweg ist mit vielen tragischen Erfahrungen gepflastert. Zwischen
den alten Sitten des osmanischen Reiches und der neuen
Gesellschaftsordnung, die gerade im Entstehen ist, wirkt sie
teilweise etwas verloren, aber sie beweist immer wieder enorme
Stärke, wenn es darum geht, Schicksalsschläge wegzustecken und das
Neue und Fremde, das sich ihr in den Weg stellt, anzunehmen.
Ich muss gestehen, dass ich bisher
nicht sehr viel über die türkische Geschichte wusste. Dass das Land
nach dem 1. Weltkrieg von den Aliierten besetzt wurde, welche
Machtkämpfe dort ausgefochten wurden und welche Folgen die
Ereignisse für die Kultur und das ganze Volk hatten, war mir nicht
in diesem Ausmaß bekannt. Was damals dort geschah, war nicht nur
einfach eine Änderung des Machtgefüges, sondern der Untergang des
osmanischen Reiches, dessen Sitten und Traditionen ausgedient hatten.
Es folgte eine Zeit des totalen Umbruchs für Politik, Kultur und
Gesellschaft.
Sehr deutlich werden die Unterschiede
zwischen Orient und Okzident aus dem Blickwinkel von Rose Gardell,
die mit ihrem Mann Louis, einem Offizier, im Haus von Selim und
seiner Familie untergebracht ist. Die Lebensweise in einem Haremlik
ist der Französin fremd und nicht geheuer, und Charaktere, wie
Selims Mutter, die schöne und eigenwillige Gülbahar oder der Eunuch
Ali Aga wirken für die europäische Frau wie aus der Zeit gefallen.
Es wird ein langwieriger Prozess sein,
die Kluft zwischen den Kulturen zu überbrücken.
Egal was Theresa Révay schildert, ob
das Alltagsleben einer türkischen Familie, ob die Einrichtung eines
traditionellen osmanischen Haushalts oder die Kleidung der Damen im
Haremlik, ob sie von den politischen Ereignissen im Sultanspalast
oder von den Gefechten und Aktionen der Freiheitskämpfer berichtet,
alles wirkt sehr gründlich recherchiert, und die fiktive Geschichte
ist perfekt mit der Historie vernetzt. Der Schreibstil ist angenehm
eingängig und der damaligen Zeit angemessen. Auch dieser Roman hat
wieder dieses Besondere, die unverkennbare Handschrift der Autorin,
die sich nicht mit schönen Fassaden begnügt, sondern sehr intensiv
auf die Empfindungswelt ihrer Protagonisten eingeht und sehr
glaubhafte Charaktere in ihrer Geschichte agieren lässt, denn mit
ihren Fehlern und Schwächen wirken sie authentisch, und man kann
sich in jeden von ihnen hineinversetzen. Es gibt nicht die Guten oder
die Bösen, kein Schwarz oder Weiß, sondern hier sind einfach nur
Menschen beschrieben, deren Reaktionen und Handlungen, egal ob
richtig oder falsch, man gut nachvollziehen kann.
In erster Linie ist dies Leylas
Geschichte, und man erlebt die starke Entwicklung mit, die sie
durchmacht, von der weltabgewandten Osmanin, deren Leben sich
größtenteils innerhalb der Grenzen eines orientalischen Harems
abspielt zur modernen, selbstbestimmten Frau, Rebellin und
Schriftstellerin, die ihrer Liebe folgt und sich für ihr Land stark
macht. Aber letztendlich ist es die Geschichte eines ganzen Landes,
dessen Werdegang vom osmanischen Reich zur türkischen Republik man
im Verlauf der Handlung verfolgen kann.
Im Gesamtbild ist es ein Roman, der
sehr intensiv von den realen historischen Ereignissen geprägt ist und
der mich mit seinen ausdrucksstarken Charakteren und plastischen
Schilderungen nachhaltig beeindruckt hat.
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