Apulien 1921: Clare Kingsley und ihr
Stiefsohn haben eine lange Reise von England nach Süditalien hinter
sich, weil Clares Mann Boyd seine Familie bei sich haben möchte. Er
arbeitet als Architekt für den reichen Grundbesitzer Leandro
Cardetta. Clare fühlt sich nicht wohl in der fremden Umgebung, auch
hat sie den Eindruck, dass ihr Mann ihr etwas verheimlicht. Nach und
nach erfährt sie, dass Boyd und Cardetta sich bereits von früher
kennen, aber beide schweigen sich über die Vergangenheit aus.
Als Leandros Neffe Ettore eines Tages
verletzt zum Gutshaus der Cardettas gebracht wird, tut sich für
Clare eine neue, fremde Welt auf. Sie ist vom ersten Augenblick an
fasziniert von dem ernsten Mann mit den tiefgründigen blauen Augen.
Je mehr sie über ihn erfährt und je besser sie ihn kennenlernt,
umso stärker fühlt sie sich zu ihm hingezogen.
Ettore verachtet die Lebensweise seines
Onkels, denn er selbst führt ein ärmliches Dasein als Tagelöhner
und kämpft ums tägliche Überleben, während Leandro, der ebenfalls
in dieser kargen, elenden Umgebung aufgewachsen ist, sein Glück in
Amerika gemacht hat und als reicher Grundbesitzer nach Italien
zurückgekommen ist. Seitdem stehen Onkel und Neffe auf verschiedenen
Seiten. Eine Annäherung scheint ausgeschlossen, denn in Apulien
wütet ein erbitterter Krieg zwischen Arm und Reich. Die wohlhabenden
Grundbesitzer bezahlen faschistische Schlägertrupps dafür, dass sie
die einfache Bevölkerung in Schach halten, und die Rebellion der
Tagelöhner, die Schwerstarbeit auf den Feldern der Reichen
verrichten und kaum einen angemessenen Lohn dafür erhalten, sondern
eher noch von den Aufsehern verspottet und erniedrigt werden, wird
ein ums andere Mal zerschlagen.
Als Ettore beginnt, Clares Zuneigung zu
erwidern, gerät die junge Frau in einen Zwiespalt. Von nun an steht
sie zwischen den Fronten, denn einerseits genießt sie Leandro
Cardettas Gastfreundschaft, aber sie liebt Ettore, und diese Liebe
darf nicht sein. Es ist, als würden sie beide an einem gähnenden
Abgrund stehen, der durch nichts zu überbrücken ist. Zu tief ist
die Kluft zwischen Arm und Reich, und den Liebenden ist klar, dass
ihre Beziehung keine Zukunft haben kann, denn Clare ist verheiratet,
und Ettore trägt tief in sich noch die Trauer um seine Verlobte, die
durch ungeklärte Ereignisse ums Leben kam, und er will nicht eher
ruhen, als bis er den Schuldigen gefunden hat.
Liest man den Titel und betrachtet das
schöne Cover, könnte man meinen, dass es sich bei diesem Buch um
einen romantischen Liebesroman in „Bella Italia“ handelt. Wer
dies erwartet, wird enttäuscht sein, denn dem ist ganz und gar nicht
so. Das Italien, das hier geschildert wird, ist alles andere als
idyllisch oder malerisch.
Das Süditalien der Zwanziger Jahre,
das Clare Kingsley erlebt, ist ein ödes Land, ohne Schönheit. Die
schwere Arbeit auf den vertrockneten Feldern, die Schikanen der
Aufseher und der karge Lohn haben die Menschen hart gemacht. Mit
Unterstützung der reichen Grundbesitzer gewinnen die Faschisten
immer mehr Macht im Land, und alle Verbesserungen, die in der
Vergangenheit erreicht worden waren, sind hinfällig. Clare erlebt
eine Welt, die ihr bisher völlig fremd war. Sie musste noch nie
Hunger leiden oder Angst um ihr Leben haben. Was sie hier in Gioia
del Colle erlebt, lässt sie aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen.
Sie wird mit der brutalen Realität der hier herrschenden
Lebensverhältnisse konfrontiert, aber sie lernt auch die Liebe
kennen. Zwar ist sie seit Jahren mit Boyd verheiratet, aber die
Gefühle in ihrer Ehe waren genauso gedämpft und verhalten wie ihr
ganzes bisheriges Leben.
Mich hat dieser Roman von der ersten
Seite an gepackt. Er ist im Präsens und abwechselnd aus Clares und
Ettores Sicht geschildert. Der Autorin gelingt es hervorragend,
Stimmungen und Emotionen in ausdrucksstarke Bilder umzusetzen und
Situationen mit wenigen, treffenden Worten darzustellen. Die
Protagonisten sind sehr intensiv charakterisiert, und viele längere
Passagen des Romans befassen sich mit dem Fühlen und Denken der
Hauptpersonen. Manch einer mag dies als langatmig empfinden. Meinen
Nerv hat dieser Roman jedoch voll und ganz getroffen, denn er gewährt
einen intensiven Blick hinter die Kulissen und die glänzenden
Fassaden, weit entfernt von touristischen Pfaden, sondern mitten ins
reale Leben der damaligen Zeit, mit all seinen Problemen und
Gefahren. Der Roman war völlig anders als erwartet, was ich jedoch
positiv sehe, denn
sowohl die Handlung als auch die
Sprache haben weitaus mehr zu bieten als pure Unterhaltung, es ist
eine eindringliche Geschichte, die lange nachhallt.
Hey Klusi, danke für diese schöne Rezension. Ich freue mich gerade umso mehr nach deiner tollen Bewertung, dass das Buch gerade bei mir einziehen durfte. Lg Petra von Papier und Tintenwelten
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