Freitag, 4. September 2015

Das Lied des Hirten - Betsy Duffey, Laurie Myers



Kate McConnell schreibt den Psalm 23 auf einen Zettel und steckt ihn ihrem Sohn Matt zu. Sie möchte ihn damit berühren, denn er hat sich vom Glauben abgewandt und lässt nicht mit sich reden. Mit Matt's Mantel landet der Zettel in einer Reinigung, und der dortige Angestellte findet ihn. Damit beginnt für den Psalm auf dem kleinen Stück Papier eine weite Reise, die rund um die Welt führt. Unterwegs fällt das Blatt zwölf Menschen verschiedener Nationalitäten in die Hände, die alle gerade in einer Lebenskrise stecken, große Sorgen haben oder an einem Wendepunkt in ihrem Leben angekommen sind. Jeder von ihnen schöpft aus einer Zeile des Psalms um den guten Hirten Kraft oder Trost, und zu jedem dieser Schicksale gibt es im Buch eine Geschichte.
Darum ist dieses Buch einerseits ein abgeschlossener Roman, aber zugleich eine faszinierende Kurzgeschichtensammlung, die von einem kleinen, handgeschriebenen Blatt Papier zusammengehalten wird, denn die Reise des Psalms 23 zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch und verbindet die einzelnen Geschichten zu einem stimmigen Ganzen.
Es ist fesselnd, die Reise des Zettels zu verfolgen, und es ist faszinierend, wie die Menschen, die das Papier finden, darauf reagieren. Der bekannte Psalm, von einer gläubigen Frau in Schönschrift zu Papier gebracht, erscheint hier in einem neuen Licht. Die zwölf im Buch erzählten Schicksale füllen die Zeilen des Psalms mit Leben und geben ihm einen realen Sinn. Liest man die einzelnen Erlebnisse, so stellt man fest, dass nicht die betroffenen Menschen den Psalm finden, sondern der Psalm findet sie, genau zur richtigen Zeit.
Am Ende jedes Kapitels ist man gespannt, wo die Reise des Zettels nun hingehen wird und auf welche Weise sie vonstatten geht. Durch die unterschiedlichen Schicksale, denen man begegnet, erhält man reichlich Stoff zum Nachdenken. Manche der Geschichten haben mir sehr berührt, andere weniger. Die meisten Geschichten konnte ich nachvollziehen, andere nicht, aber das ist gerade das Interessante an dem Buch, denn jeder Mensch setzt andere Prioritäten in seinem Leben und jeder Mensch hat andere Probleme oder Sorgen, aber für mich war die Kernaussage, dass dieser Psalm für jeden die richtigen Worte findet, egal welcher Nationalität oder Hautfarbe der Mensch ist und gleichgültig, wie klein oder groß die Sorgen des Einzelnen sind.

Der Schluss des Romans ist zugleich das Ende der Weltreise unseres kleinen Zettels. In gewissem Sinn schließt sich der Kreis. Wie er das tut, grenzt an ein Wunder, und da Wunder heutzutage eher selten passieren, hat mich dieses Finale dann doch ein wenig skeptisch und grüblerisch zurückgelassen. Aber letztendlich ist es ja nicht Sinn des Buches, den Wahrheitsgehalt der fiktiven Handlung zu überprüfen, sondern es geht hauptsächlich um den Psalm 23, der in diesem Fall der Protagonist ist, der etwas bewirken und die Menschen berühren soll, und er hat seine Aufgabe vollends erfüllt.



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