Bei der Lesejury von Bastei Lübbe hatte ich die wundervolle Gelegenheit, den neuen Roman von Rebecca Gablé "Der Palast der Meere" bereits vorab zu lesen. Ich habe den Roman als Vorab-Manuskript erhalten, und vor vier Wochen begann dazu die Leserunde. Für diese tolle Aktion bedanke ich mich ganz herzlich beim Verlag und auch bei Frau Gablé für die geduldige Beantwortung all unserer Fragen.
Der aktuelle Roman und zugleich fünfte Band der Waringham-Saga spielt zur Regierungszeit Elizabeths I., und die Handlung beginnt im Jahr 1560, also genau 200 Jahre nach „Das Lächeln der Fortuna“, wo alles begann.
Diesmal dreht sich die Handlung in der
Hauptsache um die Kinder und Enkelkinder von Nicholas of Waringham,
dem Hauptcharakter des letzten Bandes „Der dunkle Thron“.
Francis, sein ältester Sohn, der jetzige Earl of Waringham, führt die familieneigene Pferdezucht mit Erfolg und außerdem das
Internat in Waringham. Einen besonders großen und wichtigen Part des
Romans nehmen jeweils Isaac und Eleanor, Francis' jüngere
Geschwister, ein.
Eleanor lebt am Hof Elizabeths I. und
wird überall nur „Das Auge der Königin“ genannt. Als ihre
Milchschwester und enge Vertraute ist sie eine Meisterin darin,
brisante Informationen für Elizabeth in Erfahrung zu bringen und
geheime Machenschaften auszuspionieren. Sie hat sich voll und ganz
der Königin verschrieben, und ihr Privatleben ist gleich Null, bis
sie Gabriel Durham kennenlernt und sich in ihn verliebt. Diese
Liaison ist völlig unmöglich und ganz und gar nicht standesgemäß,
denn Gabriel ist der König der Diebe. Um nicht bei ihrer Königin in
Ungnade zu fallen, trifft sich Eleanor heimlich mit ihm.
Isaac lebt bei einem Onkel in London,
bis Francis' Sohn Lappidot an den Pocken erkrankt und sein Augenlicht
verliert. Daraufhin wird Isaac nach Hause beordert, da er nun eines
Tages Francis' Nachfolge antreten soll, aber seine Erinnerungen an
den Familiensitz Waringham sind nicht die besten. Dorthin
zurückzukehren erfüllt ihn mit Unbehagen, und so macht er sich aus
dem Staub. Als blinder Passagier schleicht er sich auf ein Schiff im
Hafen. Dass ihn diese Reise jedoch so weit von zuhause wegführt, hat
er sich nicht träumen lassen. Als er entdeckt wird, arbeitet er eine
Zeitlang für den Kapitän und Freibeuter Hawkins als Schiffsjunge,
aber Hawkins ist skrupellos und verkauft den Fünfzehnjährigen auf
der Insel Teneriffa als Sklaven. Damit beginnt eine Leidenszeit für
den jungen Mann, denn es dauert lange, bis er seine Freiheit zurück
erlangt und die Heimat wiedersieht.
Isaac ist ein waschechter Waringham und
hat die gleichen Eigenschaften, die ich schon an seinen Vorfahren so
mochte, denn auch wenn er in noch so verzwickten, ausweglosen und
gefährlichen Situationen steckt, also in Zeiten höchster Not, hat
er noch einen trockenen Spruch auf den Lippen.
Diesen schlagfertigen Humor, gepaart
mit einer draufgängerischen, aber zugleich herzlichen, sympathischen
Art, haben die meisten Helden von Rebecca Gablés Romanen.
Eigentlich ist es verwunderlich, dass
Isaac und Eleanor sich nicht leiden können, denn im Verlauf der
Handlung entdeckt man, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben.
Wie eigentlich schon der vierte Band,
so ist auch dieser neue Roman ganz anders als die drei Vorgänger,
die im Mittelalter spielten. Die Zeiten haben sich geändert und mit
ihnen die Lebensart. Die Ära der tapferen, edelmütigen Ritter, die
ihr Leben in so mancher Schlacht aufs Spiel setzten und auch oft
verloren, gehört der Vergangenheit an. Dafür ist die Welt für die
Menschen größer geworden, denn mit dem Schiff erreichen sie auch
entfernteste Winkel der Erde. Die Seefahrt in fremde Länder und die
Freibeuterei bringen neue Gefahren und Abenteuer mit sich, und Isaac
muss für seine Ideale und damit gegen die Sklaverei kämpfen, die er
so bitter am eigenen Leib erfahren musste.
Häufige Szenenwechsel im Roman, die an
den englischen Königshof und dann wieder auf die raue See bzw. in
ferne Länder führen, machen das Buch zu einem kurzweiligen
Lesevergnügen. Da die Überschriften der einzelnen Kapitel immer den
jeweiligen Ort und das Datum verraten, wo man sich gerade befindet,
fallen die Sprünge zwischen den verschiedenen Handlungssträngen
leicht.
Der Ort Waringham spielt diesmal eher
eine untergeordnete Rolle, da sich das Leben der Familie mehr und
mehr an Elizabeths Hof abspielt, denn auch Lappidot geht seinen Weg,
der ihn von seinem Zuhause weg und an den Königshof führt.
Hier erfährt man mehr über Elizabeths
Probleme mit ihrer papistischen Cousine Mary Stewart, die ihr nach
dem Thron trachtet und sich ein katholisches England zurück wünscht.
Wie man es von der Autorin gewohnt ist, fließt sehr viel Wahres,
historisch Verbürgtes, in die Handlung ein. Wenn man die englische
Geschichte der damaligen Zeit kennt, merkt man, wie aufmerksam und
gründlich Frau Gablé hier recherchiert hat und wie authentisch sie
ihre fiktiven Charaktere um die wahren historischen Persönlichkeiten
herum arrangiert und so eine glaubhafte und spannende Geschichte
daraus macht. Gerade die aufreibenden Machtkämpfe zwischen der
protestantischen Elizabeth und ihren katholischen Gegnern ist ein
großes Thema des Romans. Eine weitere Besonderheit ist die neue
Rolle der Frauen. Diese sind nicht mehr länger nur schmückendes
Beiwerk, sondern stehen mit beiden Beinen im Leben und sind die
aktuellen Heldenfiguren.
Interessant finde ich an Rebecca Gablés
Romanen, dass sie die historischen Personen, wie eben hier Elizabeth
I., Mary Stewart, Robert Dudley und einige andere, immer aus dem
Blickwinkel ihrer Protagonisten, eben der Waringhams, sieht und
darstellt. Das bringt oft ganz andere Wesenszüge zutage als man von
den entsprechenden Personen aus Geschichtsbüchern kennt, aber es
macht die Geschichte und die Menschen dieser Zeit lebendig und
vorstellbar.
Ich könnte hier noch ewig so
weiterschreiben, denn bei einem Wälzer von über 950 Seiten gibt es
so viele Eindrücke, dass mir nachträglich gar nicht mehr alles
einfällt, was mir beim Lesen durch den Kopf gegangen ist und ich mit
wenigen Sätzen gar nicht allem gerecht werden kann. Aber Tatsache
ist, dass mich auch dieser fünfte Band wieder begeistern und
mitreißen konnte. Ich habe jede Seite sehr genossen.
Hier die bisher erschienenen Bände der Waringham-Saga im Überblick:
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