Montag, 13. Juni 2016

Stern unter den Schönen - Maria Magdalena Leonhard


Ein Skandal am Münchner Hof


Ingolstadt 1764: Maria Franzisca von Weinbach ist eine lebensfrohe junge Frau, die im Haus ihrer Patentante und deren Mann, Johann Adam von Ickstatt, in glücklichen und geordneten Verhältnissen aufwuchs. Ihre erste Ehe, vom Oheim mit seinem Neffen arrangiert, währt nur kurz. Schon in jungen Jahren ist Franzisca verwitwet. Besondere Umstände erfordern es, dass die junge Frau schon bald wieder heiratet, und auch diese zweite Ehe wird von Ickstatt gestiftet, diesmal mit einem jungen Mann, den er protegiert: mit Gallus von Heppenstein.
Die Heppensteins ziehen nach München, und Franzisca gewinnt dort sehr schnell einen großen Kreis Bewunderer, denn sie ist nicht nur schön, sondern auch klug und äußerst gebildet. Diese Bildung gibt sie an ihre älteste Tochter Fanny weiter. Das hochbegabte und sensible Mädchen unterliegt schon in früher Jugend starken Gemütsschwankungen. Man könnte sagen, Fanny bewegte sich gefühlsmäßig ständig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.
Als sich Fanny in einen jungen und gut aussehenden Offizier verliebt und ihn heiraten möchte, ist die Mutter strikt gegen diese Verbindung. Schnell werden Gerüchte laut, die Mutter hätte selbst ein Auge auf den feschen jungen Mann geworfen, und wenig später kommt es zum Eklat. Diese unschöne Sache mündet in einer Tragödie, die nicht nur die Familie Heppenstein erschüttert, sondern ganz München und weit über die Stadtgrenzen hinaus hohe Wellen schlägt. Es ist kein Geheimnis, sondern historisch belegt und wird von der Autorin schon im Vorwort erwähnt, dass sich die siebzehnjährige Fanny im Januar 1785 vom Nordturm der Frauenkirche in den Tod stürzte.
Baronin Franzisca hadert bis zum Ende ihres Lebens mit dem Schicksal und kämpft vehement gegen die Gerüchte, die immer wieder laut werden.

Die Autorin hat sich ausgiebig mit dem Leben und Schicksal der Maria Franzisca von Heppenstein und ihrer Familie beschäftigt, das spürt man aus jeder Zeile ihres historischen Romans. Alle Ausführungen sind äußerst detailliert und zeugen von einer fachkundigen und sehr umfangreichen Recherche. Die Geschichte ist für mich besonders erschütternd und berührend, weil sie sich näher an der Wahrheit bewegt, als einem lieb ist. Wie Frau Leonhard in ihrem Vorwort schreibt, haben alle Personen, die im Roman vorkommen, wirklich im Umfeld der schönen Baronin gelebt und agieren in der Handlung so originalgetreu wie irgend möglich.
Der flüssige Schreibstil dieser Geschichte entbehrt nicht einer gewissen Eleganz und kommt kurzweilig und zugleich auch anspruchsvoll daher. Er passt gut zur Handlung und den Protagonisten, die ja zumeist aus der damaligen gehobenen, gebildeten Gesellschaftsschicht stammen. Franzisca von Heppenstein und ihre Familie sind alle sehr ausdrucksstark charakterisiert, so dass man sich ein lebendiges Bild machen kann.
Aber der Roman hat viel mehr zu bieten als eine tragische Familiengeschichte. Er zeichnet zugleich ein eindrucksvolles Kultur- und Sittengemälde der damaligen Zeit.
Im Zuge der vielschichtigen Interessen Franziscas und ihrer ältesten Tochter kommt sehr oft religiöses und philosophisches Gedankengut zur Sprache. Im Verlauf der Geschichte erfährt man so einiges über den damals bestehenden Illuminatenorden, zu dem die von Heppensteins ebenfalls Verbindungen hatten. Stets liegt auch ein Hauch von Mystik über der Geschichte, was der damaligen Denkweise geschuldet ist.
Insgesamt offenbart der Roman sehr viel Wissenswertes über die damalige Zeit am Münchner Hof und allgemein zur Situation in der Stadt. In den Zeitraum der Handlung fällt auch ein Machtwechsel in Bayern, als Kurfürst Max III. stirbt und Karl Theodor seine Nachfolge antritt. Auch die Auswirkungen dieses politischen Ereignisses fließen in die Handlung mit ein.
Das Buch besteht aus zwei großen Teilen. Man kann grob sagen, der erste Teil beschäftigt sich mit der Vorgeschichte, der zweite Teil mit den Nachwehen der schrecklichen Tragödie, die sich da ereignet hat.
Den ersten Teil habe ich nur so verschlungen. Der zweite Teil ist zwar ebenso interessant, aber hier hat die Autorin sehr viele Schriftstücke in der damaligen Schreibweise eingefügt, denn Franzisca verfällt in einen regen Briefwechsel, um ihren Ruf zu retten und sich von dem Makel zu distanzieren, der ihr anhaftet. Es sind verschiedene Meinungen im Umlauf, die sich mit dem Hergang der Dinge befassen und rund um das tragische Ereignis ranken. Oft werden in diesem Zusammenhang auch Parallelen zu Goethes Werther gezogen.
Dies war sehr interessant und aufschlussreich, gerade wenn man weiß, dass sich alles in ähnlicher Form wirklich zugetragen hat. Nur haben die vielen Schriftstücke und Zitate meinen Lesefluss etwas gebremst und sind nicht so ganz einfach zu verstehen, und manches musste ich ein zweites Mal lesen, um den korrekten Sinn zu erfassen, denn die Sprech- und Schreibweise der damaligen Zeit unterscheidet sich schon sehr von unserem heute gewohnten Deutsch. Darum kam ich zuletzt etwas langsamer voran.
Die ausgiebige Beschäftigung mit Franziscas Charakter hat sehr wechselhafte Gefühle bei mir ausgelöst. Ich schwankte ständig zwischen Mitleid und Unmut, und ich fragte mich oft, wie es wirklich im Herzen dieser faszinierenden und zugleich rätselhaften Frau ausgesehen haben mag. „Stern unter den Schönen“ ist ein Buch, das man nicht einfach gelesen zur Seite legt und wieder vergisst, sondern die tragische Geschichte wird mich noch lange begleiten und mir in Erinnerung bleiben, ganz so, wie man das von einem guten Buch erwartet.



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