Zu
ihrem 85. Geburtstag bekommt Miriam Guldberg einen silbernen Armreif
von ihrer Familie geschenkt, wo ihr Name eingraviert ist. Als sie
dies sieht, bemerkt sie spontan „Ich heiße nicht Miriam“ und
stürzt damit ihre Lieben in Verwirrung.
Als
junge Frau kam die Jüdin zum Ende des Krieges nach Schweden, aber
bisher wurde auch in der Familie nie über ihre schlimme
Vergangenheit und ihre schreckliche Zeit während der Gefangenschaft
im KZ gesprochen.
Als
sie nun behauptet, sie sei nicht Miriam, befürchtet ihre Enkelin
sogar, sie könne womöglich unter beginnender Demenz leiden. Aber
dem ist ganz und gar nicht so, denn Miriam hat ein gutes Gedächtnis,
fast zu gut. Dabei fällt es ihr schwer, die Erinnerungen an die
furchtbare Zeit, die sie damals erlebt hat, zuzulassen. Im Lauf der
Jahre ist sie eine Meisterin der Verdrängung geworden. In der
Gegenwart hat sich Miriam eine Art Zuflucht in ihre eigene
Gedankenwelt geschaffen. Ihr geistiger Rückzugsort gibt ihr Schutz
und Halt, wenn die schrecklichen Erinnerungen zu übermächtig
werden, an damals, als Miriam noch Malika war, ein Roma-Kind, zu
einer Zeit, als es vor dem Regime schon als Verbrechen galt, anders
zu sein.
An
ihrem 85. Geburtstag muss es heraus. Zu lange hat sie all das
Schreckliche in ihrem Innern verschlossen. Nun bricht sie ihr
Schweigen und offenbart sich ihrer Enkeltochter. Die Verleugnung und
Aufgabe ihrer Identität damals hat ihr das Leben gerettet und ihr
eine sichere Zukunft ermöglicht. Nun, da die Wahrheit ans Licht will
und sie sich Camilla anvertraut, wird sie zugleich von der Angst
beherrscht, ihre eigene Familie könnte sie verurteilen und ablehnen.
Als Jüdin konnte sie nach der Befreiung auf Mitleid und Hilfe
hoffen. Aber viele, die sie als Miriam mitfühlend unterstützten,
hätten Malika, die Romni, entsetzt fallen gelassen.
Es
gibt viele Zeitsprünge im Handlungsablauf, die zu ganz
unterschiedlichen Ereignissen und Situationen führen. Diese sind
nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern erfolgen auf Grund von
Gedankenblitzen der Protagonistin. Sie erinnert sich an eine Person
oder eine Szene von damals, und schon ist ihr die ganze Dramatik der
Geschichte wieder im Gedächtnis. Immer noch stehen ihr die brutalen
Bilder deutlich vor Augen, nur die Zeitabläufe verwischen. Die
Gedankensprünge zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten und die
häufig wechselnden Orte versinnbildlichen für mich die innere
Zerrissenheit und Aufgewühltheit der alten Dame. Auch nach all den
Jahren lastet immer noch das Bewusstsein auf ihr, dass sie mit einer
Lüge lebt.
Der
Erzählstil dieses Romans wirkt manchmal fast spielerisch leicht,
besonders in den Szenen, wenn Miriam vor sich selbst und ihrem
Schicksal auf der Flucht ist und sich innerlich in ihre Traumwelt
zurückzieht. Sie versuchte, die schrecklichen Dinge, die um sie
herum geschehen sind, möglichst auszublenden und das Leid, den
Hunger, das Elend und die verstörenden Bilder der Leichenberge, mit
denen sie täglich im KZ konfrontiert wurde, so gut wie möglich zu
ignorieren, denn nur so hatte sie die Kraft, durchzuhalten und
weiterzuleben.
Die
Autorin malt mit Worten ein erschütterndes Bild, und sie tut es so
berührend dass einen diese Lebensgeschichte nicht mehr loslässt.
Obwohl Miriams Schicksal fiktiv ist, so ändert das nichts an der
Tatsache, dass es sich in der Realität oft so oder in ähnlicher
Weise abgespielt hat. Zwar sind die Romanfiguren weitgehend erfunden,
nicht jedoch die Schauplätze, und die Handlung orientiert sich sehr
eng an historischen Tatsachen.
Die
Autorin setzt sich gerne und häufig für Randgruppen der
Gesellschaft ein, was sie in diesem Roman in besonders eindringlicher
Weise tut.
Majgull
Axelsson bricht hier eine Lanze für eine Minderheit, für ein ganzes
Volk, das sich immer wieder Pauschalurteile, Ablehnung und Verachtung
gefallen lassen musste und zum Teil immer noch muss.
Der
inhaltsschwere, sehr gründlich recherchierte und meisterlich
geschriebene Roman wühlt auf. Er hinterlässt ein beklemmendes
Gefühl, einen schalen Nachgeschmack, besonders wenn man die aktuelle
Lage, den Fremdenhass und die Not der Flüchtlinge bedenkt. Brutale
Übergriffe in neuester Zeit zeigen, dass dieses düstere Kapitel
deutscher Geschichte immer noch Nachhall findet und das Problem der
fremdenfeindlichen Gesinnung zum Teil auch heute noch nicht
ausgestorben ist.
Ein
sehr wichtiger und lesenswerter Roman!
Hallo,
AntwortenLöschender Roman klingt wirklich klasse und der Titel ist ein richtiger Eye-Catcher! Danke fürs Vorstellen, das wandert auf jeden Fall auf meine Merkliste.
Liebe Grüße
Jacy
Freut mich sehr, wenn ich dir das Buch näher bringen konnte :-)
LöschenLG
Susanne