In
einer stürmischen Winternacht des Jahres 1866 findet der Tierarzt
Lukas Biber, unweit seines Gutshauses, eine halb erfrorene junge
Frau. Sie hat eine Kopfverletzung und kann sich an nichts erinnern.
Sie weiß weder, wer sie ist, woher sie stammt noch, wie sie in den
Schwarzwald gekommen ist. Ihr Dialekt lässt vermuten, dass sie aus
der Gegend um Wien kommt, aber da ist noch ein weiterer Akzent zu
hören, den Lukas nicht deuten kann. Der Witwer bietet der jungen
Frau an, für ihn und seine kleine Tochter als Magd zu arbeiten, bis
sie ihr Gedächtnis wieder erlangt und weiß, wohin sie gehört.
Lukas nennt sie Theresa, manchmal auch gerne „Fräulein Fuchs“
(wegen ihrer roten Haare), da sie ihren wirklichen Namen nicht kennt.
Schnell
lebt sich die junge Frau im Gutshaus ein und ist froh, dort leben und
für die kleine Anne sorgen zu dürfen, aber insgeheim leidet sie
darunter, keine Vergangenheit und keine Identität zu haben.
Ein
zweiter großer Erzählstrang führt nach Wien, zur Familie des
österreichischen Botschafters Wieland. Dass ihr Sohn Thomas
heimlich, neben seinem Musikstudium, für das Außenministerium
arbeitet und spioniert, davon wissen die Wielands nichts, nur seine
Schwester Marika hat Thomas eingeweiht.
Eines
Tages ist Marika spurlos verschwunden...
Ich
verrate sicher nicht zu viel, denn es ist von Anfang an kein
Geheimnis, dass es sich bei Theresa eigentlich um die verschwundene
Marika handelt. Das war mir schon von Anfang an klar. So richtig
fesselnd sind jedoch die Zusammenhänge und die folgenden
Entwicklungen.
Mit
der temperamentvollen, rothaarigen jungen Frau, die unter Amnesie
leidet, hat der Roman eine starke, eigenwillige und dabei sehr
liebenswerte Protagonistin. Besonders ihre Wortgefechte mit dem
eigenbrötlerischen Lukas haben mir sehr gefallen. Der Tierarzt hat
den Verlust seiner geliebten Frau noch immer nicht verwunden. Seine
Freunde erzählen, dass er sich seit deren Tod verändert hat und
niemanden an sich heran lässt. Aber Theresa lässt sich nicht
einschüchtern, sondern bietet dem mürrischen Mann Paroli und lockt
ihn aus der Reserve. Die Art, wie die Entwicklung zwischen den beiden
beschrieben ist, hat mir sehr gefallen, denn die Annäherung erfolgt
eher zaghaft und wird verständlicherweise immer wieder von Theresas
Gedächtnisverlust überschattet, denn obwohl sie sich im Gutshaus
wohl fühlt, in ihrer neuen Umgebung Freunde gefunden hat und auch
Lukas und seine kleine Tochter immer mehr lieb gewinnt, so weiß sie
eben nicht, was oder wer in ihrem früheren Leben auf sie wartet. Ihr
innerer Zwiespalt, die verschiedenen Reaktionen ihrer Mitmenschen auf
die Gegebenheit und die Entwicklung neuer Freundschaften, das alles
wird sehr feinfühlig und realistisch beschrieben.
Dazwischen
erfährt man auch mehr über die Familie Wieland, in der Hauptsache
dreht sich dieser Erzählstrang um Thomas, der nicht aufgibt und
unermüdlich nach seiner Schwester sucht. Auch er knüpft neue
Kontakte und erlebt Dinge, die sein Leben grundlegend verändern.
Den
Rahmen zu der mitreißenden Handlung, die aufs Ende zu immer mehr an
Spannung zunimmt, bildet das Zeitgeschehen rund um den deutschen
Krieg. Die politischen Spannungen zwischen Österreich und Preußen
und die daraus resultierenden militärischen Auseinandersetzungen
werden hier sehr anschaulich erklärt, indem die Gegebenheiten immer
wieder ganz dezent in den Dialogen der Protagonisten auftauchen. So
erfährt man sehr viel über diese Zeit und kann auch die
Auswirkungen auf private Schicksale sehr gut nachvollziehen.
Es ist
ein vielschichtiger Roman, denn in der an sich kurzweiligen Handlung
werden viele problematische Themen angesprochen. Hier geht es um
Amnesie, um Trauer, um Vorurteile, und man lernt besondere
Notsituationen kennen, wie sie in der damaligen Zeit sicher nicht
untypisch waren. Wie immer in den Romanen von Elisabeth Büchle
spielt auch hier das Thema Glauben und Religion eine große Rolle,
ohne dabei allzu dominant im Vordergrund zu stehen. Die meisten der
Charaktere im Buch sind religiös und leben ihren Glauben ganz in der
Art, wie man es zur damaligen Zeit sicher allgemein getan hat.
„Winterstürme“,
im Jahr 2012 bei Weltbild erschienen, wurde bereits fünf Jahre
vorher bei Gerth Medien veröffentlicht, damals unter dem Titel „Die
Magd des Gutsherrn“. Das frühere Coverbild zeigt eine junge Magd,
die einen Apfel schält. Dieses Cover ist zwar schön, aber meiner
Meinung nach passt das Bild von „Winterstürme“ besser zu der
Protagonistin, da es deren Charakter und Situation realistischer
widerspiegelt.
Dies
war Elisabeth Büchles zweiter Roman, und es ist mittlerweile schon
so, dass ich mich darauf einstelle, wenig Zeit für andere Dinge zu
haben, solange ich ein Buch der Autorin lese, denn man ist so tief in
der Handlung drin und muss ständig darüber nachdenken, zumindest
mir geht es so, immer wenn ich einen „Büchle“ zur Hand nehme.
Durch das winterliche Cover und den Titel eignet sich das Buch gut für die Jahreszeiten-Challenge, an der ich teilnehme, und da der Roman schon vor über fünf Jahren erschienen ist, passt er zur #GoldenBacklist Challenge.
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