Im April 1928, zu seinem 6. Geburtstag,
erhält Johannes Bluhm von seinem Großvater ein gebundenes Tagebuch.
Darin notiert er von diesem Zeitpunkt an alles, was ihn bewegt und
was er erlebt. An der Art, wie das Tagebuch geschrieben ist und wie
sich der Schreibstil langsam aber stetig verändert und reifer wird,
kann man Johannes' Entwicklung vom Kind zum jungen Mann mitverfolgen.
In seinem Tagebuch schildert er die Ereignisse der damaligen Zeit,
schreibt über den immer stärker werdenden Einfluss und die
Machtergreifung der Nationalsozialisten und über die verheerenden
Folgen für die jüdische Bevölkerung. Besonders häufig und gerne
aber schreibt er über seine große Liebe Leah. Die Beiden kennen
sich von Geburt an und sind unzertrennlich. Aber Leahs Abstammung
macht es nicht leicht, diese tiefe und unerschütterliche Liebe zu
leben, denn Leah ist Jüdin. In seinem Tagebuch berichtet Johannes
von schönen und von schrecklichen Zeiten, die sie gemeinsam erleben,
bis Leah eines Tages spurlos verschwindet und Johannes verzweifelt
zurück lässt.
Die Tagebucheinträge nehmen einen
großen Teil des Romans ein und werden umrahmt von der Geschichte der
Gegenwart, wo Bernhard Bluhm jeden Freitag seinen Großvater Johannes
besucht und dieser eines Tages beginnt, ihm die alten Tagebücher zu
zeigen und von seiner großen Liebe zu erzählen. Je mehr Bernhard
über die Vergangenheit seines Großvaters erfährt, umso stärker
ist er berührt davon, gefangen in dieser schrecklichen und zugleich
schönen Geschichte.
Johannes' Tagebuch ist sehr realistisch
und glaubwürdig geschrieben. Er und Leah sind ein ganz besonderes,
sehr sympathisches Paar. Sie verbringen so viel Zeit wie irgend
möglich zusammen und lassen sich selbst von den Maßnahmen und
Sanktionen des Regimes nicht schrecken, auch wenn Leah im Lauf der
Zeit fast alles verliert, was ihr am Herzen lag. Sie ist ein
liebenswerter und zugleich starker Charakter und passt somit perfekt
zu ihrem Johannes. Bis zuletzt arbeitet sie in der Fürsorge und
betreut die Menschen, denen es noch schlechter ergeht als ihr selbst.
Das Ende dieser innigen Beziehung ist abzusehen, und trotzdem oder
vielleicht gerade deswegen ist es so unwahrscheinlich berührend.
Das Besondere an diesem Roman ist, dass
er beginnt, als noch Normalität im Land herrschte und dass er die
damalige Entwicklung im Lauf der Jahre mitverfolgt, als der Wahnsinn
dieser Zeit immer mehr Raum des Alltags einnahm und als sich die
politische Ideologie der Nationalsozialisten schleichend immer weiter
ausbreitete, wie ein giftiges Gespinst.
Die Schrecken des Krieges bleiben
Kulisse, aber umso verstörender ist es, zu erfahren, wie es den
Juden damals im täglichen Leben erging. Für uns heute, die wir in
einem freien Land leben und selbst entscheiden können, wo wir in der
Gesellschaft stehen, ist es nur schwer zu verstehen, wie sehr sich
damals der Staat in alles mögliche hinein drängte und wie stark er
die Menschen beeinflusste, denn auch wenn die Protagonisten fiktiv
sind, so ist alles andere nicht erfunden, sondern leider nur allzu
real. Das Ende des Romans wiederum ist überraschend, versöhnlich
und sehr berührend.
Ich kann den Roman von Herzen
empfehlen, denn auf seine Art ist dieses kleine Buch, das nur ca. 220
Seiten dick ist, ein wichtiges Zeitzeugnis deutscher Vergangenheit
und eine Ermahnung gegen das Vergessen.
Auch wenn es meist tragische Geschichten sind, finde ich sie doch sehr interessant. Vielen Dank für diesen Tipp.
AntwortenLöschenLG Petra