Montag, 5. September 2016

Die Reise der Amy Snow - Tracy Rees


Die Geschichte der jungen Heldin beginnt im Januar 1831. Amy Snow ist ein Findelkind. Als Baby wurde sie ausgesetzt, und die zehnjährige Aurelia fand sie halb erfroren im Schnee. Von da an wächst die Kleine im Herrenhaus Hatville Court auf, und Aurelia, ihre Retterin, wird zugleich ihre beste Freundin. Aber die Vennaways, Aurelias Eltern, wollen nichts von dem fremden Kind wissen. Als Aurelia jung stirbt, steht Amy ganz allein und muss das Herrenhaus noch am Tag der Beerdigung verlassen. Ein Brief, den die geliebte Freundin ihr hinterlassen hat, führt sie auf eine rätselhafte Reise quer durch England. An verschiedenen Stationen warten Nachrichten auf sie, und Amy folgt dem vorgezeichneten Weg, um Aurelias Vermächtnis zu erfüllen. Nach und nach kommt sie dabei einem großen Geheimnis auf die Spur.

Mit Amy Snow hat die Geschichte eine sanfte, zurückhaltende Heldin, die jedoch im Lauf der Zeit lernt, sich durchzusetzen. Ihre Reise ist langwierig und mühsam. Angst und Zweifel werden zu ständigen Begleitern der jungen Frau, denn ihr Weg führt ins Ungewisse. Oft weiß sie nicht weiter und fragt sich, wieso Aurelia ihr dies alles zumutet. Trotz aller Unsicherheiten folgt Amy jedoch beständig den Spuren, die Aurelia für sie hinterlassen hat, denn sie ist ihrer verstorbenen Freundin gegenüber loyal und möchte unter allen Umständen deren letzten Willen erfüllen. Dabei wächst sie über sich selbst hinaus und lernt ganz neue Seiten an sich kennen. Auch trifft sie auf ihrem Weg viele interessante Menschen, die alle in irgend einer Weise eine Verbindung zu ihrer geliebten Freundin hatten. In gewissem Sinn ist dies also auch ein Entwicklungsroman, denn vom schüchternen, unsicheren und ein wenig naiven Mädchen, das nichts von der Welt kennt, reift Amy zur selbstbewussten und selbstbestimmten jungen Frau heran, die ihren eigenen Wert erkennt. Der Weg dahin wird von der Autorin in sehr schöner und einfühlsamer Weise gezeichnet. Die gediegene Sprache, die stets mit wohl gesetzten Formulierungen aufwarten kann und auch die Art, wie gesellschaftliche Beziehungen hier gepflegt werden, erinnert mich ein wenig an das Spätwerk von Jane Austen, auch wenn Amy einige Jahrzehnte später lebt als die Protagonisten von Austens Romanen.
Da er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt, ist es durchaus auch ein historischer Roman, obwohl hier kaum geschichtliche Daten und Fakten eine Rolle spielen. Aber man erfährt viel über das Leben und die Gepflogenheiten der Menschen zur damaligen Zeit.

Amy Snow und ich haben eine schöne Gemeinsamkeit, denn Amy liebt die Werke von Charles Dickens, und in dieser Beziehung kann ich ihr nur uneingeschränkt zustimmen. Die Art, wie sie über seine Romane schwärmt, ist regelrecht ansteckend und wird vielleicht auch diejenigen, die bisher noch keinen Dickens gelesen haben, dazu animieren, dies endlich einmal zu tun. „Die Reise der Amy Snow“ ist ein eher ruhiger, unaufgeregter Roman. Er liest sich angenehm, da er sprachlich viel zu bieten hat.
Trotz einiger Längen ist dies ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe und auch jederzeit weiter empfehlen kann.  



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