Ein Skandal am Münchner Hof
Ingolstadt
1764: Maria Franzisca von Weinbach ist eine lebensfrohe junge Frau,
die im Haus ihrer Patentante und deren Mann, Johann Adam von
Ickstatt, in glücklichen und geordneten Verhältnissen aufwuchs.
Ihre erste Ehe, vom Oheim mit seinem Neffen arrangiert, währt nur
kurz. Schon in jungen Jahren ist Franzisca verwitwet. Besondere
Umstände erfordern es, dass die junge Frau schon bald wieder
heiratet, und auch diese zweite Ehe wird von Ickstatt gestiftet,
diesmal mit einem jungen Mann, den er protegiert: mit Gallus von
Heppenstein.
Die
Heppensteins ziehen nach München, und Franzisca gewinnt dort sehr
schnell einen großen Kreis Bewunderer, denn sie ist nicht nur schön,
sondern auch klug und äußerst gebildet. Diese Bildung gibt sie an
ihre älteste Tochter Fanny weiter. Das hochbegabte und sensible
Mädchen unterliegt schon in früher Jugend starken
Gemütsschwankungen. Man könnte sagen, Fanny bewegte sich
gefühlsmäßig ständig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode
betrübt.
Als
sich Fanny in einen jungen und gut aussehenden Offizier verliebt und
ihn heiraten möchte, ist die Mutter strikt gegen diese Verbindung.
Schnell werden Gerüchte laut, die Mutter hätte selbst ein Auge auf
den feschen jungen Mann geworfen, und wenig später kommt es zum
Eklat. Diese unschöne Sache mündet in einer Tragödie, die nicht
nur die Familie Heppenstein erschüttert, sondern ganz München und
weit über die Stadtgrenzen hinaus hohe Wellen schlägt. Es ist kein
Geheimnis, sondern historisch belegt und wird von der Autorin schon
im Vorwort erwähnt, dass sich die siebzehnjährige Fanny im Januar
1785 vom Nordturm der Frauenkirche in den Tod stürzte.
Baronin
Franzisca hadert bis zum Ende ihres Lebens mit dem Schicksal und
kämpft vehement gegen die Gerüchte, die immer wieder laut werden.
Die
Autorin hat sich ausgiebig mit dem Leben und Schicksal der Maria
Franzisca von Heppenstein und ihrer Familie beschäftigt, das spürt
man aus jeder Zeile ihres historischen Romans. Alle Ausführungen
sind äußerst detailliert und zeugen von einer fachkundigen und
sehr umfangreichen Recherche. Die Geschichte ist für mich besonders
erschütternd und berührend, weil sie sich näher an der Wahrheit
bewegt, als einem lieb ist. Wie Frau Leonhard in ihrem Vorwort
schreibt, haben alle Personen, die im Roman vorkommen, wirklich im
Umfeld der schönen Baronin gelebt und agieren in der Handlung so
originalgetreu wie irgend möglich.
Der
flüssige Schreibstil dieser Geschichte entbehrt nicht einer gewissen
Eleganz und kommt kurzweilig und zugleich auch anspruchsvoll daher.
Er passt gut zur Handlung und den Protagonisten, die ja zumeist aus
der damaligen gehobenen, gebildeten Gesellschaftsschicht stammen.
Franzisca von Heppenstein und ihre Familie sind alle sehr
ausdrucksstark charakterisiert, so dass man sich ein lebendiges Bild
machen kann.
Aber
der Roman hat viel mehr zu bieten als eine tragische
Familiengeschichte. Er zeichnet zugleich ein eindrucksvolles Kultur-
und Sittengemälde der damaligen Zeit.
Im
Zuge der vielschichtigen Interessen Franziscas und ihrer ältesten
Tochter kommt sehr oft religiöses und philosophisches Gedankengut
zur Sprache. Im Verlauf der Geschichte erfährt man so einiges über
den damals bestehenden Illuminatenorden, zu dem die von Heppensteins
ebenfalls Verbindungen hatten. Stets liegt auch ein Hauch von Mystik
über der Geschichte, was der damaligen Denkweise geschuldet ist.
Insgesamt
offenbart der Roman sehr viel Wissenswertes über die damalige Zeit
am Münchner Hof und allgemein zur Situation in der Stadt. In den
Zeitraum der Handlung fällt auch ein Machtwechsel in Bayern, als
Kurfürst Max III. stirbt und Karl Theodor seine Nachfolge antritt.
Auch die Auswirkungen dieses politischen Ereignisses fließen in die
Handlung mit ein.
Das
Buch besteht aus zwei großen Teilen. Man kann grob sagen, der erste
Teil beschäftigt sich mit der Vorgeschichte, der zweite Teil mit den
Nachwehen der schrecklichen Tragödie, die sich da ereignet hat.
Den
ersten Teil habe ich nur so verschlungen. Der zweite Teil ist zwar
ebenso interessant, aber hier hat die Autorin sehr viele
Schriftstücke in der damaligen Schreibweise eingefügt, denn
Franzisca verfällt in einen regen Briefwechsel, um ihren Ruf zu
retten und sich von dem Makel zu distanzieren, der ihr anhaftet. Es
sind verschiedene Meinungen im Umlauf, die sich mit dem Hergang der
Dinge befassen und rund um das tragische Ereignis ranken. Oft werden
in diesem Zusammenhang auch Parallelen zu Goethes Werther gezogen.
Dies
war sehr interessant und aufschlussreich, gerade wenn man weiß, dass
sich alles in ähnlicher Form wirklich zugetragen hat. Nur haben die
vielen Schriftstücke und Zitate meinen Lesefluss etwas gebremst und
sind nicht so ganz einfach zu verstehen, und manches musste ich ein
zweites Mal lesen, um den korrekten Sinn zu erfassen, denn die
Sprech- und Schreibweise der damaligen Zeit unterscheidet sich schon
sehr von unserem heute gewohnten Deutsch. Darum kam ich zuletzt etwas
langsamer voran.
Die
ausgiebige Beschäftigung mit Franziscas Charakter hat sehr
wechselhafte Gefühle bei mir ausgelöst. Ich schwankte ständig
zwischen Mitleid und Unmut, und ich fragte mich oft, wie es wirklich
im Herzen dieser faszinierenden und zugleich rätselhaften Frau
ausgesehen haben mag. „Stern unter den Schönen“ ist ein Buch,
das man nicht einfach gelesen zur Seite legt und wieder vergisst,
sondern die tragische Geschichte wird mich noch lange begleiten und
mir in Erinnerung bleiben, ganz so, wie man das von einem guten Buch
erwartet.