Nach einem Gespräch mit ihrem Chef
muss Claudia Konrad erkennen, dass sie mit gerade mal 51 Jahren schon
zum alten Eisen gehört, denn sie soll von ihrer langjährigen
Tätigkeit als Kosmetikberaterin und Fachverkäuferin, im
Hauptgeschäft der Parfümerie Swan, in bester Lage, direkt unter
Hamburgs Alsterarkaden, nun plötzlich ins Warenlager versetzt
werden. Claudia ist empört und kündigt auf der Stelle, nicht ohne
einen spektakulären Abgang, den sie sich noch im Verkaufsraum der
Parfümerie leistet. Erst als sie wenig später den Rathausmarkt
erreicht und sich erschöpft auf einer Bank niederlässt, wird ihr
die Tragweite ihres spontanen Entschlusses bewusst, denn der Verlust
ihres Arbeitsplatzes ist nicht ihre einzige Sorge. Schweren Herzens
muss sie an ihre Tochter Jule denken, die nach einem tragischen
Unfall nicht mehr sie selbst ist, die Öffentlichkeit meidet und seit
damals nie mehr zu ihrer fröhlichen Unbeschwertheit zurückgefunden
hat. Sara, ihre beste Freundin und zugleich Jules Patin, hat eigene
Probleme, denn nach ihrer Scheidung lässt sie sich durch die Tage
treiben, und es fehlt ihr an einer sinnvollen Aufgabe im Leben.
Als Claudia einen Apfel findet und
hinein beißt, kommt ihr das Aroma vage vertraut vor, und die
aromatische Frucht weckt eine unbestimmte Sehnsucht; sie erscheint
ihr wie der symbolische Schlüssel zu einem Neuanfang.
Wenige Tage später, während eines
Ausflugs ins Alte Land, bringt sie der Zufall zu einem verlassenen
Apfelhof. Das erscheint ihr schicksalhaft, und sie beschließt
spontan, das marode Anwesen zu kaufen. Von diesem Entschluss lässt
sie sich durch nichts abbringen, nicht von den vernünftigen
Argumenten ihrer Freundin Sara und schon gar nicht von dem
mürrischen, unfreundlichen Nachbarn.
Die Geschichte handelt von vier Frauen,
die alle in ihrem Leben an einem Scheideweg angekommen sind. Um nicht
in einer Sackgasse zu landen, müssen sie sich für die Zukunft neu
orientieren. Das ist einfacher gesagt als getan, denn Probleme lassen
sich nicht einfach wegwischen, und neue Wege zu beschreiten,
erfordert eine große Portion Mut. Claudia, Jule und Sara gehen das
Wagnis ein, indem sie auf einen Apfelhof im Alten Land ziehen, um
sich dort ihr Leben neu einzurichten. Als eines Tages die frisch
verwitwete Elisabeth bei ihnen auftaucht und bleibt, obwohl sie
eigentlich nur auf der Durchreise war, erscheint sie als Rettung in
der Not, denn die resolute Rentnerin bringt Gemütlichkeit ins Haus
und täglich etwas Leckeres auf den Tisch.
Es sind vier sehr unterschiedliche
Charaktere, die hier aufeinander treffen, und doch funktioniert es
mit dem Zusammenleben. Wäre da nicht Johann, der eigenbrötlerische
Nachbar mit seinem riesigen Hund, könnte Claudia direkt glücklich
sein, aber immer wieder gelingt es dem großen Mann mit den eisblauen
Augen, sie aus der Ruhe zu bringen. Jule empfindet Johanns Gegenwart
ganz anders, denn sie durchdringt seine eisige Fassade und erkennt,
was er hinter seiner unnahbaren Art verbirgt. Auch Elisabeth hat den
ernsten Mann schnell durchschaut und erweist sich als wertvolle
Ratgeberin, nicht nur für ihn, sondern auch für die Bewohnerinnen
des Apfelhofs.
Der Roman ist ganz anders als die
heiter-turbulenten, manchmal etwas überspitzten Familienkomödien,
die man von der Autorin unter dem Pseudonym Brigitte Kanitz kennt. Die vier Frauen von
„Winterapfelgarten“, mit all ihren Sorgen, Nöten aber auch
Hoffnungen, sind liebevoll und glaubhaft charakterisiert, ebenso
Bauer Johann vom Nachbarhof. Die Protagonisten haben sich in mein
Herz geschlichen, still und heimlich, ohne anzuklopfen, und obwohl
ich weiß, dass sie fiktiv sind, habe ich direkt Sehnsucht bekommen,
sie im Alten Land zu besuchen und mit ihnen in der gemütlichen Küche
zu sitzen und Tee zu schlürfen. Für die vier Frauen erfüllt sich
ein Traum, den man nur allzu gerne mit ihnen teilen würde. Der alte
Apfelhof hat etwas Heilsames, ja Magisches für all seine Bewohner;
er ist ihnen schnell zu einer richtigen Heimat geworden.
Während des Lesens hat man das Gefühl,
in der Geschichte zu versinken und von ihr eingehüllt zu werden, wie
von einer kuscheligen Decke. Es ist ein idealer Roman für
stürmisch-kalte Herbst- und Wintertage. Er wärmt das Herz und
streichelt die Seele – kurz gesagt, er tut richtig gut.
Eine sehr schöne Rezension. :) Mir hat "Winterapfelgarten" ebenfalls sehr gut gefallen.
AntwortenLöschenLG
Sabine
Danke Sabine, das Buch ist ein starker Anwärter für mein November-Highlight.
LöschenIst schon eine Weile auf meiner Wunschliste und kommt nach deiner Rezi definitiv beim nächsten Einkauf mit!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Martina
Ich denke, das Buch wird dir gefallen, liebe Martina :-)
LöschenHey!
AntwortenLöschenIch habe es als Hörbuch gehört und war auch angetan. Ich fand allerdings den Anfang etwas zäh, da die Figuren sehr lange eingeführt wurden.
LG
Yvonne
Mit Hörbüchern ist das immer so eine Sache. Mir geht es oft so, dass ich mit den Sprechern nicht klar komme; habe deine Rezi gelesen und gesehen, dass es bei dir zum Teil auch an der Sprecherin lag.
LöschenDas Buch subt hier noch :-) Danke für die Rezension!
AntwortenLöschenLg Sonja
Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen und bin schon gespannt, wie es dir gefällt. :-)
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