Der Medicus von Heidelberg - Wolf Serno ISBN: 3426653524 Knaur Verlag, 688 Seiten |
Klappentext:
Kanton Thurgau um 1500: die Stiefmutter des zwölfjährigen
Lukas Nufer liegt in den Wehen, doch das Kind hat sich nicht gedreht. Eine
sogenannte Schnittentbindung könnte Mutter und Kind retten – wäre die
gefährliche Operation nicht von der Kirche verboten.
Lukas’ Vater setzt sich über das Verbot hinweg, und
tatsächlich gelingt es ihm, den Eingriff erfolgreich durchzuführen. Von diesem
Moment an hat Lukas nur ein Ziel: Er will Medicus werden!
Mein Eindruck:
Wie in vielen seiner Werke widmet sich Wolf Serno auch in
seinem neuesten Roman sehr ausgiebig den Themen „Medizin“ und „Forschung“ in
der Geschichte. Ein umfangreiches Personenregister steht am Anfang des Buches
und erweist sich immer wieder als sehr hilfreiche Gedankenstütze, denn dort
lernt man die Charaktere, in der Reihenfolge ihres ersten Auftritts im Roman,
kennen.
„Der Medicus von Heidelberg“ besteht aus drei großen
Abschnitten:
1. Der Magister
2. Der Studiosus und
3. Der Medicus
Grundlage für diesen Roman war die erste historisch bekannte
Schnittentbindung am Menschen, die um das Jahr 1500, von dem Schweinekastrator
Jacob Nufer, erfolgreich durchgeführt wurde. Mutter und Kind überlebten die
gefährliche Prozedur. Dieses Erlebnis, dem der kleine Lukas (Jacobs fiktiver
Sohn im Roman) beiwohnte, festigte dessen Entschluss, später einmal Medicus zu
werden.
Erster Teil: Nach seiner ersten Studienzeit in Basel, wo er
gerade sein Examen zum Magister Artium bestanden hat, macht sich Lukas, der
junge Ich-Erzähler, auf den Weg nach Erfurt, um dort seine Studien
fortzusetzen. Es wird eine abenteuerliche, gefährliche Reise. Einiges, was er unterwegs erlebt, macht ihm
seine Ohnmacht gegenüber Krankheit und Tod bewusst, und so dramatisch seine
Erfahrungen auch sind, so bekräftigen sie doch nur die Richtigkeit seines
Berufswunsches. Aber nicht nur körperlichen Gefahren ist er unterwegs
ausgesetzt, er begegnet auch einer leibhaftigen Prinzessin, die überfallen und
entführt wurde und für die er die Verantwortung übernimmt, sie wohlbehalten zu
ihrer Familie nach Heidelberg zu bringen. Die schöne, anfangs sehr
kratzbürstige und hochnäsige Odilie, eine Tochter des Kurfürsten Philipp von
der Pfalz, in die er sich hoffnungslos verliebt, wird in seinem weiteren Leben
noch eine wichtige Rolle spielen.
Im zweiten großen Abschnitt des Romans dreht sich die
Handlung hauptsächlich um Lukas’ medizinische Studien in Erfurt. Er lernt seine
Kommilitonen kennen und gewinnt neue Freunde, darunter so historisch bedeutende
Namen wie Martin Luther und Ulrich von Hutten. Aber nicht alle sind ihm
wohlgesinnt, und er muss sich auch gegen diverse Anfeindungen zur Wehr setzen.
Als eine Pestwelle über Erfurt hereinbricht, sieht sich Lukas vor eine unmenschlich
schwere Aufgabe gestellt. Obwohl er noch lange kein fertig ausgebildeter Medicus
ist, versucht er, möglichst viele der Erkrankten zu retten und kämpft um jedes
Leben, ein schier unmögliches Vorhaben.
3. Teil: Nachdem er auch diese große und schwierige
Herausforderung überstanden hat, zieht es Lukas wieder nach Heidelberg, denn
dort hat er sein Herz zurückgelassen, bei Prinzessin Odilie. Seine Liebe zu ihr
ist aussichtslos, aber er will ihr wenigstens nahe sein.
In Heidelberg kann er sein Medizinstudium erfolgreich
abschließen und trifft alte Freunde und Bekannte wieder. Er widmet sich
besonders der Frauenheilkunde und geht in seiner Aufgabe auf. Er sieht auch
Odilie wieder, aber unversehens gerät er in bedrohliche Situationen, und sein
Leben ist in Gefahr. Als er die Zusammenhänge erkennt, ist es schon fast zu
spät….
Man muss ihn einfach gern haben, den Studiosus Lukas Nufer.
Er ist wissensdurstig, mutig und voller Tatendrang, und er hat das Herz auf dem
rechten Fleck. Dass sich unser Held in Basel, nach dem Erdbeben, eines kleinen
Hundewelpen annimmt, der sich mit der Zeit zum Riesen auswächst, macht ihn
gleich noch sympathischer. Der Mischlingsrüde Schnapp lohnt es ihm dauerhaft mit
seiner unerschütterlichen Treue. Was die beiden im Lauf der Geschichte alles
erleben, ist brillant und sehr spannend erzählt. Das Buch hat sich für mich als
Magnet erwiesen. Kaum legte ich es zwangsläufig einmal zur Seite, so hat es
mich gleich wieder magisch angezogen, und ich hätte es am liebsten in einem
Stück gelesen, so gefesselt war ich von Lukas’ Abenteuern. Der Ich-Erzähler
trifft interessante Charaktere, von denen einige wirklich gelebt haben und von
großer historischer Bedeutung sind.
Man gewinnt einen guten Eindruck vom Studentenleben der Zeit
im 16. Jahrhundert, und man erfährt von den damaligen gesundheitlichen
Gefahren, die glücklicherweise heute kein Thema mehr sind. Nicht nur mit
lebendbedrohlichen Seuchen mussten sich die Menschen früher herumschlagen,
sondern auch mangelndes Wissen brachte viele Gefahren für Leib und Leben mit
sich. Es ist interessant, zu erfahren, wie die Ärzte damals dachten und
handelten. Ein Medicus war weitgehend ein Theoretiker, der sein Wissen als
Dozent weitergab und Diagnosen stellte, aber selten bei Behandlungen selbst
Hand anlegte. Man erfährt so einiges über die damals anerkannte
Vier-Säfte-Lehre und weitere Meinungen zum menschlichen Körper und zu
Krankheiten, über die wir heute nur den Kopf schütteln können. Viele Patienten,
mit Krankheiten, die heute kein Problem mehr darstellen, waren damals dem Tod
geweiht. Das trifft auch auf den Bereich der Frauenheilkunde zu, mit dem sich
Lukas bei seinen Studien besonders ausgiebig beschäftigt. Was wir heutzutage
ganz selbstverständlich als Kaiserschnitt kennen, war damals fast unmöglich,
denn die Überlebenschance für Mutter und Kind war so gut wie nicht vorhanden.
Auch wurde die Schnittendbindung von der Kirche nicht gern gesehen, sie war
sogar verboten.
Ein weiteres großes Thema des Romans ist die Veränderung der
Weltanschauung, an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Gerade in
Studentenkreisen gab es bereits damals die humanistische Bewegung, der sich auch
Lukas anschloss.
So bietet dieser faszinierende Roman nicht nur ein lebendig
gezeichnetes Panorama des Lebens, der Wissenschaft und der Menschen am Anfang
des 16. Jahrhunderts, sondern er erzählt auch von schicksalhaften, dramatischen
und romantischen Begegnungen.
Die Geschichte bietet kein klassisches Happy End, sondern
lässt dem Leser Raum und Freiheit für eigene Phantasien und Ideen. Vielleicht
hatte der Autor ja den Gedanken im Hinterkopf, Lukas’ Geschichte in einem
weiteren Buch fortzuführen. Ich wäre gerne dabei, denn für mich war dieser
Roman ein Pageturner, von der ersten bis zur letzten Seite, und es ist mir
schwer gefallen, am Schluss von dem liebenswerten Helden mit ungewissem
Schicksal Abschied zu nehmen.
Ich weiß nicht, kann man einen Klappentext für eine Rezension verwenden? Es gibt doch auch einen Urheber von dem Klappentext, oder? Manchmal hat der Klappentext nur wenig mit dem zu tun, was in dem Buch steht.
AntwortenLöschenHallo Michael, wenn man die Länge des Klappentextes ansieht und dann meinen Eindruck zum Buch liest, kann von einem "Verwenden des Klappentextes für die Rezension" eigentlich nicht die Rede sein. Soviel mir bekannt ist, liegt das Urheberrecht für den Klappentext beim Verlag, und da ich den kurzen Abschnitt deutlich als "Klappentext" gekennzeichnet habe, müsste das rechtlich in Ordnung sein. Es handelt sich ja nur um eine sehr knappe Zusammenfassung des Inhalts, die hinten auf dem Umschlag abgedruckt ist,und ich gebe dir Recht, besonders aufschlussreich ist er meist nicht. Vorne, auf der inneren Umschlaglasche des Buches, steht eine ausführliche Inhaltsbeschreibung, die für meinen Geschmack schon zu viel vom Roman verrät und den ich schon aus diesem Grund nicht als Ergänzung meiner Rezension verwenden würde. Ich denke aber, alles was die Leser interessiert und was sie vielleicht vorab wissen möchten, steht in meiner Rezension, wobei ich darauf geachtet habe, nichts Wesentliches zu verraten, was die Spannung nehmen könnte.
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